Der Semmelkoenig
und trat einen Schritt zurück, da es am Grill zu heiß und vor allem zu rauchig wurde.
»Um Dummheit ging es ab einem bestimmten Punkt nicht mehr. Da sind plötzlich ganz viele Gefühle hochgekocht, haben die Vernunft ausgeschaltet. Wir haben in ihrer Wohnung ganz bemerkenswerte Unterlagen gefunden, die es mir nun halbwegs möglich machen, sie besser zu verstehen.«
Maus schien der Qualm nicht zu stören. Er war mit seinen Gedanken in der Wohnung, die sie am späten Vormittag durchsucht hatten. Zwar hatte Sybille Möller-Spatz hier schon gute Arbeit geleistet und fast alles Interessante entdeckt, aber der kleine Safe, der ganz schnell mit Oskars Geburtsdatum geöffnet werden konnte, war ihr offenbar entgangen.
»Sie hatte herausgefunden, dass Möller ein wirklich mieser Hund war. Nicht die Vergewaltigung ihrer Fast-Schwägerin – das wusste sie ja –, sondern dass er es damals war, der ihren heißgeliebten Vater dazu überredet hatte, die verseuchten Fischteiche zu einem Freundschaftspreis zu kaufen, musste für sie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Ich vermute, das war auch der Grund, warum sich die Damen an einen Tisch gesetzt und diese Erpressung geplant hatten, wobei ich davon überzeugt bin, dass parallel dazu auch die ersten Mordgedanken in Frau Lörtek herangereift waren. Eines schweißte die Frauen jedoch ohne Zweifel zusammen: Sie wollten mit dem Kerl abrechnen und es wäre ihnen ja auch beinahe gelungen.«
»Klingt logisch!«, hustete Frank und zog Maus etwas von dem Grill weg, da er befürchtete, seine Schürze könnte Feuer fangen. »Trotzdem versteh ich nicht, dass keiner wusste, wie die drei zueinander standen. Ich mein, wir leben hier in Bad Berging, einer Kleinstadt! Warum ist also niemandem aufgefallen, dass Heidi plötzlich eine Tante hat?«
»Tja, und schon wieder haben Sie meine Überlegungen aufgegriffen. Wir ergänzen uns wirklich gut, Doktor!«
Maus bückte sich nach einer Plastiktüte, die offensichtlich Würstchen enthielt, denn das Logo von Metzger Gans war darauf gedruckt. Zwar hatte er mit dieser Unterbrechung seinen Freund nicht zappeln lassen wollen, aber er durfte auch nicht vergessen, dass er in erster Linie für das leibliche Wohl seiner Gäste verantwortlich war. Nachdem er die Grillwaren ausgepackt und griffbereit gelegt hatte, waren seine Vorbereitungen abgeschlossen und er konnte sich wieder seinen Ausführungen widmen.
»Also, wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, warum niemand – nicht einmal die neugierige Nachbarin – von der Verwandtschaft wusste. Nun, zunächst einmal stammte Frau Lörtek nicht aus dieser Gegend. Erst nach dem Tod ihres Vaters und nach dem hässlichen Prozess ist sie ja hierher gezogen. Nein, um genau zu sein, ist sie hier eigentlich untergetaucht. Sie wollte ihre Vergangenheit hinter sich lassen, ein neues Leben beginnen. Deshalb hat sie ihren Namen geändert und Möller – damals noch in ihren Augen ein Freund ihres verstorbenen Vaters – war der Einzige, der alle Hintergründe kannte. Er hat ihr ja auch geholfen. Am Anfang war das vermutlich ein Job in seiner Firma, na ja, und dann ist die Beziehung immer intensiver geworden. Er hat sie dann ausgehalten, ihr Leben und das ihres gemeinsamen Kindes finanziert. Aber die Geschichte kennen wir ja schon.«
Maus blickte jetzt nachdenklich auf die vielen Soßen, die seine Frau zu den Grillspezialitäten reichen wollte. Sie hatte sich dieses Jahr selbst übertroffen.
»Aber natürlich! Sie musste die ganze Zeit in Furcht gelebt haben, dass man ihr trotzdem auf die Schliche kommt, dass man ihre wahre Identität aufdecken könnte.«
Doktor Frank war die ständig abschweifende Konzentration des Kommissars langsam zu anstrengend, deshalb führte er das Gespräch in seinem Sinne weiter. Maus grinste schief.
»Genau. Sie hat sorgfältig darauf geachtet, wann und wo sie sich mit den Verwandten traf. Frau Blum erzählte uns, dass sie erst nachdem Oskar schon über zwei Jahre alt gewesen war, mit ihnen Kontakt aufgenommen hatte. Vielleicht ging ihr zu dieser Zeit Josef Möller schon gehörig auf die Nerven, oder sie wurde sentimental und vermisste ihren Bruder, ihre eigene Familie. Ich kann es nicht sagen. Fakt ist, die drei Damen trafen sich nur in aller Heimlichkeit. Nachts, wenn alle schliefen, oder an öffentlichen Plätzen, oder dann später bei diversen Kursen unseres Kulturvereins. Zum Beispiel begegnete Sandra Blum nach dem Flamencokurs zufällig in der Umkleide Frau Klöter, die gerade mit
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