Der Serienmörder von Paris (German Edition)
Mathilde und dem 21-jährigen Sohn Bernard beendet. Massu machte es sich in seinem Lieblingssessel bequem, um über die Ereignisse des Arbeitstags zu berichten: ein Diebstahl, ein Fall tätlichen Angriffs, Berichte an die Vorgesetzten, Verhöre und die scheinbar nie enden wollende Flut an Papierkram. Bernard, der an der Pariser Universität Jura studierte, hatte sich zur Vorbereitung der anstehenden Prüfungen auf sein Zimmer zurückgezogen.
Nur wenige Minuten vor 22 Uhr – Massu war gerade ins Bett gegangen – läutete das Telefon. „Ich kann mich heute noch an den Anruf und das schrille Klingeln erinnern“, erzählte er viele Jahre später. Ein Anruf um diese Tageszeit – das konnte nur eines bedeuten! Und das war nicht – wie er sich ausdrückte – „wieder so eine Messerstecherei in der Nähe des Montmartre“. Massu nahm den Hörer mit der unbeweglichen Miene eines Kartenspielers ab, der versuchte, einen gerissenen Falschspieler zu bluffen.
Am anderen Ende der Leitung hörte er die Stimme des Sekretärs Canitrot von der Mordkommission. Ohne nähere Details des Leichenfundes in der Rue Le Sueur preiszugeben, drängte Canitrot seinen Chef, so schnell wie möglich zum Tatort zu kommen, und schickte einen Wagen, um ihn abzuholen. Nur 15 Minuten später wartete ein langer schwarzer Citroën 11 CV vor Massus Wohnung. Der Chauffeur salutierte dem Kommissar vermittels der an der Mütze angelegten Hand.
Wie so oft bei wichtigen oder interessanten Fällen wollte Bernard seinem Vater bei den Ermittlungen auf Schritt und Tritt folgen. Und der Kommissar hatte zugestimmt. Massu, ein kräftiger Mann von 55 Jahren mit wallendem schwarzen Kopfhaar und einem dunklen Bart, hatte den schwarzen Übermantel angezogen und sich einen grauen Filzhut aufgesetzt. Vater und Sohn, beide wegen der kühlen Nacht warm angezogen, ließen sich dann durch die Stadt chauffieren, die noch vor Jahren das Ebenbild sprudelnder und überschäumender Lebensfreude gewesen war. In dieser Nacht wirkten die Straßen laut Massu aber „nüchtern und verlassen“.
Paris litt nun schon seit vier Jahren unter der Schreckensherrschaft der deutschen Besatzungsmacht. Große rote und weiße Fahnen mit tiefschwarzen Hakenkreuzen wehten am Eiffelturm, dem Triumphbogen und ähnlichen für die Metropole charakteristischen Wahrzeichen und Gebäuden nahe Petiots Villa. Die wenigen Menschen, die sich nach der Sperrstunde noch auf der Straße aufhielten, waren Deutsche, „Freunde der Besatzer“ und die sogenannten „Nachtarbeiter“. Ein Bordell, exklusiv für hochrangige Nazioffiziere, befand sich, von Petiots Anwesen aus gesehen, in einer Seitenstraße gleich um die Ecke.
Massus Wagen fuhr auf das Gebäude Rue Le Sueur Nummer 21 zu und parkte. Eine einzige Laterne, wegen des Verdunklungserlasses fast vollkommen abgedeckt, warf ein trübes bläuliches Licht auf die vor dem Haus stehenden Polizeibeamten, die – wie Massu richtig erkannte – bei den Nachbarn in der Straße eine beklemmende Neugier erregten. Einige seiner Leute hielten die Anwohner in Schach, die sich eingefunden hatten, andere folgten ihm in das Gebäude. Alle paar Minuten erschienen neue Beamte vor Ort.
Massu betrat das Haus. Die Villa verfügte über einen großen und einen kleinen Salon, einen imposanten Speiseraum, ein Zimmer, in dem ein Billardtisch stand, eine Bibliothek und sechs Privatgemächer, darunter die Schlafzimmer und zwei Küchen. Das Anwesen hatte ursprünglich der Prinzessin Marie Colloredo-Mansfeld gehört, einer 67-jährigen Französin. Die Familie ihres Mannes vererbte den kaiserlichen Titel schon seit 1763. Noch in den Dreißigern lebte im Haus dann die französische Schauspielerin Cécile Sorel, Comtesse de Ségur, ihres Zeichens Doyenne der Comédie Française, wie ein Concierge aus der Nachbarschaft berichtete.
Der derzeitige Besitzer war der Öffentlichkeit indes nicht so bekannt wie die Prinzessin oder die Schauspielerin. „Der Name Marcel Petiot sagte mir gar nichts“, musste Kommissar Massu später zugeben. Er hörte ihn an diesem Tag zum ersten Mal.
Doch eines erkannte Massu auf den ersten Blick – der Besitzer war ein leidenschaftlicher Sammler erlesener Kunstgegenstände. In den meisten Räumen fanden sich kristallene Kronleuchter, orientalische Teppiche, antike Möbel, Marmorstatuen, Vasen der Manufaktur Sèvres und Ölgemälde in vergoldeten Rahmen. Allerdings wirkten die prunkvollen Kunstwerke vernachlässigt. Sie waren staubig, und Spinnweben
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