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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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raschelnden Klang der Glocken. Topsy sah Roland düster an und ließ den Kopf wieder sinken, als gäbe es im Staub der Hochstraße etwas zum Grasen. Als wollte er jemals wieder grasen, was das anging.
    Der Revolvermann nahm die Zügel hoch, klopfte an seinen verblaßten, farblosen Jeans den Staub davon ab und ging weiter die Straße entlang. Das hölzerne Klopfgeräusch wurde mit jedem seiner Schritte lauter (er hatte seinen Revolver nicht in das Holster gesteckt, als er das GESETZ verlassen hatte, und nun steckte er ihn auch nicht weg), und als er sich dem Dorfplatz näherte, wo sich unter normalen Umständen der Markt von Eluria befunden hätte, sah Roland endlich eine Bewegung.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes befand sich ein langer Wassertrog, wie es aussah aus Eisenholz (»Seequoiah«, wie manche hier draußen dazu sagten), den offenbar in glücklicheren Zeiten ein rostiges Stahlrohr gespeist hatte, das nun ausgetrocknet über das südliche Ende des Trogs ragte. Über einer Seite dieser städtischen Oase, etwa in der Mitte, ragte ein Bein in ausgebleichten grauen Hosen hervor, das in einem angenagten Cowboystiefel steckte.
    Angenagt hatte es ein großer Hund, vielleicht zwei Schattierungen dunkler grau als die Kordhose. Unter anderen Umständen, so vermutete Roland, hätte der Köter den Stiefel längst heruntergezogen, aber vielleicht waren Fuß und Wade darin geschwollen. Jedenfalls war der Hund dabei, das Hindernis einfach durchzubeißen. Er packte den Stiefel und schüttelte ihn hin und her. Ab und zu stieß der Absatz gegen das Holz des Trogs und erzeugte ein hohles Klopfen. Offenbar hatte der Revolvermann so falsch gar nicht gelegen, als er an Sargdeckel gedacht hatte.
    Warum nimmt er nicht einfach ein paar Schritte Anlauf, springt in den Trog und nimmt sich, was er will? fragte sich Roland. Es kommt kein Wasser aus dem Rohr, also kann er keine Angst davor haben, zu ertrinken.
    Topsy gab wieder dieses hohle, müde Niesen von sich, und als der Hund als Reaktion darauf herumwirbelte, wurde Roland klar, warum es das Tier auf die harte Tour machte. Eine seiner Vorderpfoten war gebrochen gewesen und schief verheilt. Zu gehen mußte Schwerarbeit für ihn sein, zu springen kam nicht in Frage. Auf der Brust hatte der Hund einen Flecken schmutzigen weißen Fells. In diesem weißen Fleck wuchs schwarzes Fell ungefähr in der Form eines Kreuzes. Möglicherweise ein Jesus-Hund, der auf ein Stückchen nachmittäglicher Kommunion hoffte.
    Allerdings hatte das Knurren, das sich der Brust des Hundes entrang, nichts besonders Religiöses an sich, so wenig wie seine Triefaugen. Er zog die Oberlippe zu einem zitternden Zähnefletschen zurück und entblößte dabei ein stattliches Gebiß.
    »Verschwinde«, sagte Roland. »Solange du noch kannst.«
    Der Hund wich zurück, bis er die Hinterläufe an den angenagten Stiefel drückte. Er betrachtete den Mann, der auf ihn zukam, mit furchtsamem Blick, schien aber fest entschlossen, seinen Fund zu verteidigen. Der Revolver in Rolands Hand hatte keine Bedeutung für ihn. Das überraschte den Revolvermann nicht - Roland vermutete, daß der Hund noch nie einen gesehen und somit keine Ahnung hatte, daß er etwas anderes war als eine Art Keule, die man nur einmal werfen konnte.
    »Hau endlich ab«, sagte Roland, aber der Hund bewegte sich immer noch nicht.
    Er hätte das Tier erschießen sollen - es war für sich genommen zu nichts mehr nütze, und ein Hund, der Geschmack an Menschenfleisch gefunden hatte, war auch keinem anderen mehr zu etwas nütze -, aber irgendwie schien Roland das nicht angebracht. Das einzige noch lebende Wesen in dieser Stadt zu töten (abgesehen von den zirpenden Insekten), schien förmlich, als wolle man das Unglück auf sich ziehen.
    Er feuerte vor der heilen Vorderpfote des Hundes in den Staub, und der Knall donnerte in den heißen Tag und brachte die Insekten vorübergehend zum Schweigen. Es schien, als könnte der Hund doch laufen, aber in einem hinkenden Trott, der Roland in den Augen weh tat . . . und ein wenig auch im Herzen. Auf der anderen Seite des Dorfplatzes, bei einem umgestürzten Wagen (an dessen Seite sich noch mehr getrocknete Blutspritzer zu befinden schienen), blieb das Tier stehen und warf einen Blick zurück. Es stieß ein verlorenes Heulen aus, bei dem sich Rolands Nackenhärchen noch weiter aufrichteten. Dann wandte sich der Hund ab, schlug einen Bogen um den umgestürzten Wagen herum und hinkte einen Pfad zwischen zwei

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