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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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dem Kopf wackelte, würde ihr in der Kirche seine alte zerbrechliche Hand auf den Scheitel legen. Es würden Psalmen gesungen werden, während sie vorne stand, hübsch zurechtgemacht wie eine Braut in ihrem ersten langen schwarzen Kleid. Von all den umliegenden Gütern würden die Nachbarn kommen, aus Kappeln, Missunde, Lindaunis, vielleicht sogar aus Schleswig, um ihr zu gratulieren. Danach Kaffee und Kuchen für alle, zu Hause im Salon; unten in der Küche wirbelten sie schon seit Tagen deswegen. Und dann … ja, was?
    Mina merkte, dass sie aus dem Takt kam. Die Absätze ihrer Knöpfstiefel schlugen laut und unrhythmisch auf die rissigen Bodendielen. Die bunten Lichtflecken stolperten über die alten Möbel, als sie versuchte, wieder in die Melodie zurückzufinden. Einszweidrei, einszweidrei … Es half nichts, die Lichtdamen flogen durcheinander wie Murmeln, und Mina konnte beinahe ihr empörtes Raunen hören. Die Spieluhr rutschte ihr halb aus dem Arm, sie schnaufte und schnarrte in der Schieflage. Das Lied wurde langsam, immer langsamer, bis die Töne so weit auseinanderlagen, dass sie keinen Sinn mehr ergaben. Erst da hörte Mina den anderen Takt, den anderen Rhythmus. Er kam nicht aus der Dachkammer. Da waren Schritte auf der Bodentreppe. Und draußen wieherte plötzlich ein Pferd.
    Sie erschrak, ließ die Spieluhr fallen, und mit einem hässlichen Klirren schlug sie auf die Bodendielen. Die Musik verstummte. Ein neuer Splitter brach ab, als sie die Uhr mit
der Stiefelspitze anstieß, heftig genug, dass sie unter eine alte Kommode mit drei Beinen rutschte und dort im Schatten liegen blieb. Die Bodenluke knarrte. Mit fliegenden Fingern versuchte Mina, sich die Haare zu glätten.
    »Hier sind Sie, Fräulein Wilhelmina …«
    Ein Hut stieg aus der Luke empor, schwarz schimmernde Seide, und auf den Brillengläsern darunter brach das Sonnenlicht. Die Augen waren nicht zu erkennen; aber der Mund im grauen Backenbart krümmte sich in amüsierten Winkeln, und Mina knickste, ganz schwach vor Erleichterung.
    »Verzeihung, Herr Doktor«, sagte sie, immer noch atemlos. »Ich wusste nicht, dass Sie schon angekommen sind. Ich habe wohl die Zeit vergessen.«
    Er lachte freundlich, während er sich ganz durch die schmale Luke zwängte. Einen kurzen Moment lang spürte Mina, dass es ihr lieber gewesen wäre, wenn er nicht heraufgekommen wäre; wenn er die Luke nur für sie offen gelassen und bei der Treppe gewartet hätte. Es war ihr Dachboden, ihr Versteck. Licht und Töne schienen noch in der Luft zu schweben, fast greifbar wirklich. Und auch sie gehörten ihr.
    Mina verscheuchte den Gedanken sofort. Es war der Doktor, nicht die Mamsell. Er würde sie nicht am Arm packen und nach unten zerren. Er würde sie nicht verraten.
    Ein liebenswürdiger Herr, der Doktor, auch wenn man sich immer ein wenig klein fühlte vor seinen funkelnden Brillengläsern und nie wusste, was er wirklich dachte. Sie kannte ihn, solange sie sich erinnern konnte. Oft wurde er zum Essen eingeladen, zu Minas Geburtstagen oder zum Sommerpicknick; einer der wenigen Gäste, die zum Gutshaus
kamen. Eine Art Hausfreund, so sagte man wohl dazu. Zu ihrem letzten Geburtstag hatte er ihr hübsche Anziehpuppen aus Papier geschenkt und damenhafte Haarnadeln mit Wachsblumen. Der Doktor mochte sie.
    Sie beeilte sich trotzdem, das lose Schleifenband wieder zu befestigen, während er sich umsah.
    »Recht staubig haben Sie es hier«, bemerkte er, und seine Mundwinkel krümmten sich noch mehr. Er trat an eines der weißen Laken heran, unter dem eine Garnitur mottenzerlöcherter Morgenmäntel darauf wartete, in Putzlumpen zerrissen zu werden. »Aber das Licht ist zum Zeichnen natürlich einmalig an einem solchen Tag. Wenn auch die Blumenwiese im Garten vielleicht einen noch schöneren Ausblick bieten würde.«
    Mina griff hastig nach dem Zeichenblock, der auf einer alten Staffelei beim Fenster stand. Schon vor Wochen hatte sie eine der Gewächshausrosen darauf begonnen, eine halbe Blüte, ein paar angedeutete Blätter. Sie leistete gute Dienste, wenn man nach stundenlangem vergeblichen Mamsellrufen von irgendwoher auftauchte. Wenn man sie vorzeigte, war man ein braves, anständiges Mädchen, das sich still mit Mädchendingen beschäftigte. Der Vater strich einem kurz über den Kopf, dass es in den straff gebundenen Schleifen ziepte, und die Mutter lächelte matt und legte ihre kühle, schmale Hand für einen Augenblick über die eigene, während die Standuhr tickte und

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