Von Namibia bis Südafrika
1. Von München nach Windhuk
Es ist schwer zu sagen, wann eine Reise beginnt: Bei der ersten Idee, die so plötzlich erscheint wie eine Sternschnuppe am Nachthimmel? Beim Studieren von Büchern und Filmen, die einen immer mehr für ferne Länder begeistern? Beim Recherchieren, Planen und Organisieren? Beim Packen, mit dem gewissen Kribbeln im Bauch? Beim Abschiednehmen von Frau, Freundin, Verwandten und der Dose mit Keksen mit der Aufschrift: „Entnahme nur an Sonn- und Feiertagen sowie vor Reisen länger als zwei Monate“? Oder wenn man endlich am Ziel ist, in jener Ecke der Welt, wo man schon vor der Geburt hinwollte? Ich bin viel gereist, und weiß es trotzdem nicht. Ich weiß nur, wann die Tour enden kann, noch bevor sie beginnt. Das ist am Zoll – dem Ort, an dem vier Buchstaben Angst und Schrecken verbreiten. An dem es gilt, kiloweise Papier auszufüllen, sich durch endlose Formulare zu kämpfen, geschrieben in einem Beamtendeutsch, das kein Mensch kapiert, um am Ende von einem Mann mit schütterem Haar gesagt zu kriegen: „Tut mir leid. Sie haben das grüne Formblatt zum Antrag einer Exportgenehmigung zum Zwecke der Ausführung elektronischer Geräte auf Seite 53c, Spalte 5, Zeile 13 unkorrekt ausgefüllt. Jetzt müssen Sie alles noch mal machen.“
„Wie alles? Machen Sie Witze?“
„Sehe ich aus wie Hape Kerkeling? Bin ich lustig? Sie wollen wohl hier bleiben!“
Da stand sie auf der Kippe, meine Reise nach Afrika – in einem hässlichen Büro beim Zoll am Münchner Flughafen. Nicht, weil ich Seite 53c, Spalte 5, Zeile 13 zum vierten Mal falsch ausgefüllt hatte, sondern weil der Zollbeamte kein Verständnis dafür aufbringen konnte, weshalb bei mir ein halbes Dutzend dicker Gaskartuschen, die aussahen wie Bomben, mit ins Gepäck gehörten. „Für was sollen die sein?“, fragte er zum x-ten Mal.
„Für den Ballon“, antwortete ich zum x-ten und ersten Mal. „Ohne Gas fährt der nicht.“
„Er fährt nicht?“
„Genau. Flugzeuge fliegen. Ballone fahren. Und dazu brauchen sie Gas. Doch nicht irgendeines. Sondern ein Gemisch aus Butan und Propan. Das gibt's in Afrika nicht an jeder Ecke. Deshalb muss ich's mitnehmen. In diesen dicken Gaskartuschen.“
„Sie werden in Afrika also im Ballon herum fliegen … äh … fahren?“
„Nein. Nur die Kamera. In einem ferngesteuerten Kameraballon Marke Eigenbau.“
Der Zollbeamte starrte mich so an wie wir den Finanzminister, wenn er wieder sagt: „Tut mir leid, Leute, Steuern rauf, Einkommen runter, so sieht's aus.“
Dann knallte er einen Stempel auf die Papiere. Wahrscheinlich nur, damit ich ihm nicht länger auf die Nerven gehen konnte.
„Beim nächsten Mal …“, begann er.
Meine Ohren schalteten auf Durchzug. Am Beginn einer Reise hat der Satz „beim nächsten Mal“ nichts zu suchen, denn der Beginn einer Reise ist immer ein magischer Moment, vor allem, wenn sie nach Afrika führt. In die Wüste. Zu den San-Buschleuten. Zu den Himba und Herero. Da ist das „Jetzt“ wichtig. Und nicht das „Morgen“.
Mein Plan war bescheiden. Ich wollte die traditionellen Heiler der Wüstengebiete des südlichen und südwestlichen Afrikas besuchen und dabei einen Film drehen. Warum? Zum einen hatte mich ein Bericht fasziniert, den der Volksschriftsteller, Pfarrer und Revolutionär Heinrich-Hans Jakob im 19. Jahrhundert verfasst hatte. Darin schrieb er über die „Sympathie- Doktoren“ des Schwarzwalds. Das waren einfache Bauern mit der Gabe, durch Handauflegen Kranke zu heilen. Ich dachte mir, diese Geschichten sind ein gutes Argument für eine längere Auszeit in Afrika, wo es noch solche Heiler geben soll. Der andere Grund war 1,70 m groß und hatte blaue Augen. Ich hatte Dr. Anne Hansen auf einer Party kennen gelernt und wurde von ihr mit südafrikanischem Rotwein abgefüllt, während sie von Pflanzen in der Wüste erzählte, die Sachen konnten, „das glaubst du gar nicht“. „Zum Beispiel?“ Ich war bemüht, nicht in diesen Augen zu ertrinken, sondern dem Exkurs „Afrikanische Heilpflanzenkunde für Anfänger“ zu folgen.
„Alt werden zum Beispiel“, sagte sie. „Stell dir vor, manche Pflanzen werden über 2 000 Jahre alt.“
„Wenn wir weiter so bechern, fühlen wir uns morgen auch nicht anders.“
Das brachte sie erst richtig in Fahrt. Und so erfuhr ich, welche erstaunlichen Kräfte die Heilpflanzen der Wüste haben. Zu welchen Wunderdingen die dort lebenden traditionellen Heiler in der Lage sind. Und dass sich Dr. Anne
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