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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Talent zu erkennen. Sie besitzt auch Menschenkenntnis – vor allem die Männer kennt sie, zukünftige Verbündete in einer Schlacht, die sie recht bald gewinnen muss, denn sie ist schon fünfundzwanzig und daher schon sehr bald zu alt für die Traumindustrie. Sie weiß, dass:
    a)Männer weniger tückisch sind als Frauen,
    b)Männer niemals darauf achten, was Frauen anhaben, weil sie sie mit den Blicken ausziehen,
    c)wenn Brüste, Schenkel, Hintern, Bauch stimmen, die Welt schon so gut wie erobert ist.
    Wegen dieser drei Punkte und weil sie weiß, dass alle anderen Frauen, die mit ihr konkurrieren, ihre positiven Eigenschaften übertrieben herausstreichen, kümmert sie sich nur um Punkt c. Sie macht Gymnastik, um sich in Form zu halten, macht keine Diäten und kleidet sich anders, als es erwartet wird, nämlich zurückhaltend, und bis heute hat das gut funktioniert. Sie sieht jünger aus, als sie ist. Sie hofft, dass auch das in Cannes zum Erfolg beitragen wird.
    Brüste, Hintern, Schenkel – sollten die Männer doch einstweilen darauf achten, wenn sie nicht anders konnten. Der Tag wird kommen, an dem sie sehen, was Gabriela alles kann.
    Sie trinkt ihren Kaffee, und ihr wird plötzlich klar, was ihr so schlechte Laune gemacht hat. Sie ist von den schönsten Frauen der Welt umgeben! Auch wenn sie sich selber nicht für hässlich hält, konkurrieren kann sie nicht mit ihnen. Die Entscheidung, diese Reise zu unternehmen, ist ihr nicht leichtgefallen, denn sie hat nicht viel Geld. Und es wird allmählich knapp. Sie hat nicht mehr viel Zeit, einen Vertrag zu ergattern. An den ersten beiden Tagen des Festivals hat sie an verschiedenen Stellen ihren Lebenslauf und ihre Fotos verteilt, aber nur eine Einladung zu der Party am Vortag ergattert – in ein fünftklassiges Restaurant, mit brüllend lauter Musik, in dem niemand aus der Superklasse erschienen war. Sie hatte getrunken, um ihre Schüchternheit zu überwinden, hatte mehr getrunken, als sie vertrug, und am Ende nicht mehr gewusst, wo sie war und was sie da machte. Alles war ihr seltsam vorgekommen – Europa, die Art, wie sich die Leute kleideten, die anderen Sprachen, die geheuchelte Fröhlichkeit aller Anwesenden, die lieber zu einem wichtigeren Event eingeladen gewesen wären und dennoch an diesem ganz und gar unwichtigen Ort ausharrten, sich schreiend über die laute Musik hinweg über das Leben der anderen und die Ungerechtigkeit der Mächtigen unterhielten.
    Gabriela hat es satt, sich über die Ungerechtigkeit der Mächtigen aufzuregen. Sie sind nun einmal so, wie sie sind, und niemandem eine Erklärung schuldig. Gabriela muss entscheiden, was sie als Nächstes tun will, und das will gut überlegt sein. Viele andere Mädchen, die den gleichen Traum (wenn auch selbstverständlich weniger Talent) haben, verteilen wahrscheinlich jetzt gerade ihre Lebensläufe und Fotos. Produzenten, die zum Festival gekommen sind, werden mit Dossiers, dvd s und Visitenkarten überschwemmt.
    Was wird am Ende den Ausschlag geben?
    Eine Chance wie diese wird ihr nie wieder geboten werden. Schließlich hat sie all ihre Ersparnisse in diese Reise zum Festival in Cannes investiert.
    Während sie ihren Kaffee trinkt, schaut sie aus dem kleinen, auf eine Sackgasse hinausgehenden Fenster, aus dem sie nur einen Tabakladen und ein Schokolade essendes Mädchen sehen kann. Ja, ihre letzte Gelegenheit. Sie hofft, dass sie anders ausgehen wird als ihre erste.
    In Gedanken kehrt sie in die Vergangenheit zurück, in die Zeit, als sie elf Jahre alt war, zu der ersten Theateraufführung in ihrer Schule in Chicago, einer der teuersten in weitem Umkreis. Grund für ihren jetzigen Wunsch, es als Schauspielerin zu schaffen, war nicht der ungeteilte Beifall der damals anwesenden Eltern, Verwandten und Lehrer gewesen.
    Ganz im Gegenteil: In einer Bühnenadaption von Alice im Wunderland hatte sie den verrückten Hutmacher gespielt, war unter vielen anderen Jungen und Mädchen für diese wichtige Rolle ausgewählt worden. Ihr erster Satz hatte gelautet: »Du musst dir das Haar schneiden lassen.«
    Darauf hatte die Alice im Stück geantwortet: »Solche Bemerkungen solltest du dir abgewöhnen, sie sind unschicklich.«
    Als der langersehnte Augenblick mit dem Text gekommen war, den sie unzählige Male geübt hatte, war sie so aufgeregt gewesen, dass sie sich versprochen und stattdessen gesagt hatte: »Du musst dir das Haar wachsen lassen.« Das Mädchen, das Alice spielte, war nicht aus der Rolle gefallen und

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