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Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Der Sieger bleibt allein (German Edition)

Titel: Der Sieger bleibt allein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo Coelho
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Technology. Während sie tagsüber die Proteine und die Struktur des Benzols studierte, lebte sie nachts mit Henrik Ibsen, Noël Coward und William Shakespeare in einem Theaterkurs, den sie mit dem Geld bezahlte, das ihre Eltern ihr für Kleidung und Studienliteratur schickten. Im Theaterkurs kam sie mit den Begabtesten ihrer Altersgruppe zusammen und hatte ausgezeichnete Lehrer. Sie wurde gelobt, erhielt Empfehlungsschreiben, arbeitete ohne Wissen ihrer Eltern als Hintergrundsängerin in einer Rockband und trat bei einer Veranstaltung über Lawrence von Arabien als Bauchtänzerin auf.
    Es empfahl sich, alle Rollen anzunehmen. Denn eines Tages würde ganz zufällig jemand Wichtiges im Publikum sitzen und sie zu einem richtigen Casting einladen. Die Tage der Prüfungen, ihres Kampfes um einen Platz im Scheinwerferlicht wären dann zu Ende.
    Die Jahre vergingen. Gabriela trat in Zahnpastawerbespots auf, arbeitete als Model, und einmal war sie sogar drauf und dran, das Angebot eines Escortservice anzunehmen, weil sie verzweifelt Geld für ihre Fotomappe brauchte, die sie an die wichtigsten Agenturen der Vereinigten Staaten schicken wollte. Doch Gott, auf den sie fest vertraute, kam ihr zu Hilfe. Es wurde ihr eine Statistenrolle im Videoclip einer japanischen Sängerin angeboten, der unter der Hochbahn von Chicago gedreht werden sollte. Das Honorar war höher, als sie erwartet hatte, und reichte gerade dafür aus, die Profifotos für ihr Book zu bezahlen.
    Sie hatte sich immer wieder gesagt, dass sie noch am Anfang ihrer Karriere stehe, aber die Zeit begann ihr davonzulaufen. Es nützte ihr nichts, dass sie während ihres Schauspielstudiums die Ophelia in Hamlet gespielt hatte – das Leben bot ihr immer nur Werbespots für Deodorants und Schönheitscremes an. Im Warteraum einer Agentur, der sie ihr Book zusammen mit Empfehlungsschreiben vorlegen wollte, traf sie andere Mädchen, die aussahen wie sie, lächelten wie sie und sich alle gegenseitig hassten. Sie würden alles tun, um an ihr Ziel zu gelangen, um ihre visibility zu erhöhen, um wahrgenommen zu werden.
    Immer wieder hatte Gabriela stundenlang gewartet, bis sie an der Reihe war, und währenddessen Bücher über Meditation und positives Denken gelesen. Am Ende saß sie dann vor einer Person – Mann oder Frau –, die nie auch nur einen Blick in die Empfehlungsschreiben warf, sondern nur schweigend die Fotos ansah und sich ihren Namen notierte. Vielleicht würde sie zu einem Casting eingeladen – das passierte aber nur einmal in zehn Fällen. Da stand sie dann wieder mit all ihrer vermeintlichen Begabung vor einer Kamera und unhöflichen Crewmitgliedern, die sie herumkommandierten: ›Lockerer! Lächeln! Dreh dich nach rechts! Runter mit dem Kinn! Feuchte die Lippen an!‹
    Das war’s dann: Ein weiteres Foto für eine neue Kaffeemarke war im Kasten.
    Und wenn sie nicht angerufen wurde, was der Normalfall war, dann dachte sie nur eins: Die wollen mich nicht. Aber mit der Zeit lernte sie damit zu leben, sie begriff, dass sie notwendige Prüfungen durchlief, dass ihre Beharrlichkeit und ihr Glaube getestet wurden. Sie weigerte sich einzusehen, dass der Schauspielkurs, die Empfehlungsschreiben, ihre vielen kleinen Werbespots überhaupt nichts brachten.
    Ihr Handy klingelt.
    Sie reagiert nicht.
    Das Handy klingelt weiter.
    Sie braucht eine Weile, um von ihrer Reise in die Vergangenheit in die Gegenwart zurückzukehren.
    Endlich nimmt sie den Anruf an.
    Die Stimme am anderen Ende sagt, dass sie in zwei Stunden zum Casting kommen solle.
    sie sollte zum casting kommen.
    In Cannes!
    Geschafft! Die weite Reise von Chicago, wo sie außer einigen Jobs bei Werbespots nur Ablehnungen bekommen hatte, hierher nach Cannes hat sich also doch gelohnt und auch die mühselige Suche nach einer zahlbaren Unterkunft.
    Schon in zwei Stunden?
    Den Bus konnte sie nicht nehmen, da sie sich mit den Buslinien noch nicht auskannte. Sie wohnte oben auf einem Hügel und war nur zweimal den steilen Hang hinuntergestiegen; einmal, um ihre Books zu verteilen, das andere Mal, um gestern Abend zu dieser fünftklassigen Party zu gehen. Unten in der Stadt war sie per Anhalter weitergefahren. Jedes Mal hatten Männer in schönen Cabrios sie mitgenommen. Es war allgemein bekannt, dass schöne Frauen in Cannes kein Problem hatten, per Anhalter weiterzukommen. Aber jetzt konnte sie sich nicht auf den Zufall verlassen, sie musste die Sache selber in die Hand nehmen. Bei einem Filmcasting ist der Zeitplan

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