Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
bei ihr waren. Seht ihr jene drei dort? Solche hat sie viele, Sklaven, und ihre Augen sind aus Sand. Ich bin nicht sicher, ob es noch Menschen sind, doch kann man sie töten, so wie ich diese drei tötete. Deine Mutter Gregil hat ebenfalls einen erschlagen, Eri, einen Krieger, der über ihre Schwelle wollte, und so blieb auch ihr Zelt verschont, und alle, die darinnen waren. Doch viele hatten weniger Glück. Viele hat Slahan getötet, und die liegen dort, unter jenem Grabhügel, und ich muss dir leider sagen, Curru, mein Freund, dass deine Frau Egwa unter ihnen ist.«
Curru verfärbte sich, aber er sagte keinen Ton. Awin schluckte und unterdrückte die Tränen, die ihm in die Augen steigen wollten. Die strenge und immer etwas raue Egwa hatte ihn und seine Schwester an Kindes statt angenommen und großgezogen. »Auch Meryak liegt dort, der bei den Herden von Slahan überrascht wurde, nicht aber Malde, der bei ihm
war. Und auch von meinem Sohn Karak fehlt jede Spur. Ich fürchte, ihnen ist Schlimmeres widerfahren als der Tod. Außer uns dreien sind nur Gregil, die alte Telia, eine Handvoll Kinder und der junge Mabak, der gar nicht im Lager war, dem Verhängnis entkommen. Wirklich, Tengwil hat ein furchtbares Schicksal für uns gewoben.« Und dann zählte er die Namen derer auf, die bei dem Angriff gestorben waren. Es waren viele.
»Und Gunwa, meine Schwester?«, rief Awin, der die Ungewissheit nicht länger ertrug.
»Auch sie ist verschwunden, wie viele andere unseres Klans. Slahan hat sie mitgenommen, zu welchen düsteren Zwecken auch immer.«
Ein Abgrund öffnete sich vor Awin. Seine Schwester war von Xlifara Slahan verschleppt worden?
»Sie wird sie zu Sklaven machen, wie die, die ihr getötet habt«, warf Merege kühl ein, »oder sie wird auch mit ihrem Blut ihren Durst stillen.«
Eine tiefe Stille folgte dieser Bemerkung. Schließlich sagte Curru böse: »Was weißt du schon, Hexe?«
»Ich glaube, alter Freund, dieses Mädchen hat recht«, sagte Tuge nach einer längeren Pause.
»Wenn sie gefangen sind, dann können wir sie auch befreien«, sagte Awin mit einer Entschlossenheit, die ihn selbst überraschte.
»Befreien? Aus den Klauen einer Göttin? Aber wir sind nur schwache Menschen«, wandte der Bogner ein.
»Wir haben den Heolin. Wir können sie besiegen«, entgegnete Awin grimmig. »Schon einmal haben wir das geschafft.«
»Ihr habt ihn wieder?«, rief Tuge mit großen Augen.
»Wir wären nicht ohne ihn zurückgekehrt, Bogner«, antwortete Eri stolz.
Curru richtete sich auf. Er war immer noch leichenblass. »Ja,
wir haben den Lichtstein, den Stein, für den so viele von uns ihr Leben gelassen haben. Und der Junge hat recht, wir haben Slahan einmal besiegt, wir können es wieder.« Und dann begann Curru zu berichten.
Kolyn hatte unterdessen Feuerholz zusammengetragen, das er nun entzündete. Awin überließ seinem ehemaligen Meister gern das Reden. Er war in Gedanken bei seiner Schwester und bei Egwa. Sie hatte aus nichts eine nahrhafte Suppe gezaubert, auch wenn sich über deren Geschmack manchmal streiten ließ. Und selbst in den schlimmsten Wintern wäre sie lieber selbst verhungert, als ihre Ziehkinder darben zu lassen. Awin streckte die Hände aus. Die Kälte wich allmählich aus seinen Knochen, aber dafür griff eine andere Kälte nach seinem Gemüt. Seine Schwester war verschleppt worden, seine Ziehmutter tot. Vor seinem geistigen Auge sah er plötzlich eine Reihe von Menschen, die ihm nahegestanden hatten und die nun tot waren: Egwa, Yaman Aryak, Mewe der Jäger, der dicke Bale, Tuwin der Schmied, und dahinter warteten noch weitere Gesichter. Er versuchte die düsteren Gedanken zu verscheuchen. Gunwa lebte noch. An diese Vorstellung klammerte er sich. Der alte Seher berichtete unterdessen von ihren Erlebnissen. Am Anfang redete er stockend, tastete nach den richtigen Worten, aber langsam, Satz für Satz, wurde seine Stimme fester. Das Erzählen schien ihm zu helfen. Mabak, der sich bei Serkesch von ihnen getrennt hatte, hatte dem Klan schon vor einem halben Jahr viel von ihren Erlebnissen berichtet. Curru knüpfte dort an, er schilderte die Schlacht am Glutrücken, und wie sie in Uos Mund hinabgestiegen waren. Er hielt sich sogar weitgehend an die Tatsachen, auch wenn es seltsamerweise so schien, als hätten vor allem Eri und er selbst die Hauptarbeit verrichtet, und Awin und Merege seien eher zufällig dabei gewesen. Awin war es gleich. Es gab Überlebende, das war die
Hauptsache. Seine
Weitere Kostenlose Bücher