Der Sohn (German Edition)
ersten Mal verspürte ich eine gewisse Ruhe. Ich blinzelte, damit meine Tränen hinunterrollen konnten. Es musste doch gesagt werden. Wie immer.
»Passt du auf dich auf, Mitch? Sei bitte ganz, ganz vorsichtig ja!«
»Ja, Mama, liebe Mama. Ich werde auf mich aufpassen und ganz, ganz vorsichtig sein. Aber ihr auch bitte, passt auf euch auf, ja!«
Und dann hauchten wir beide möglichst viele Küsse ins Web – unsere Beschwörungen des Schicksals. Wie immer in der phantastischen Hoffnung, dass sie die Kraft haben würden, den anderen zu beschützen.
Wenigstens so sehr wie echte Küsse.
Epilog
Eine Woche später fiel ein wattierter Umschlag durch den Briefschlitz mit vielen, vielen Stempeln darauf. Vorsichtig öffnete ich ihn und fischte ein Kuvert mit einem Brief heraus.
Ich starrte auf die Handschrift. Eine etwas ungelenke Handschrift, die Handschrift meines Vaters als Dreizehnjähriger. Schräg und unregelmäßig, aber leserlich und zum Glück nicht in diesem altdeutschen Sütterlin von Zewa. Was mir auffiel, war, dass das Kuvert nicht frankiert war, mein Vater musste den Brief also eigenhändig bei den Leeders in den Briefkasten geworfen haben.
15. Dezember 1942
Werter Mo!
Zuallererst hoffe ich, dass es Euch gutgeht und Ihr in Sicherheit seid! Ich wünschte, ich könnte zu Dir kommen, aber das ist vorläufig nicht möglich, fürchte ich. Ich erkläre Dir gleich, warum. Wir sind nämlich seit ein paar Wochen nicht mehr in A. Es ist so viel passiert, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.
Mitte Oktober, als bei uns so viele Razzien waren, sind vier Polizisten bei uns eingedrungen. Sie brüllten gleich, dass wir die Koffer packen sollten. Mein Vater schrie zurück, sie sollten sich in unserem Haus bloß nicht so aufführen. Als Antwort darauf bekam er einen schweren Hieb gegen das Kinn. Meine Mutter hat dummerweise versucht, ihn zu verteidigen, und die Männer waren drauf und dran, sie auch zu schlagen. Da bin ich dazwischengesprungen. Zum Glück hatte ich Wagner in der Hand, Federmanns Liebling mit dem ehernen Namen, und alle wichen zurück. Ich habe meinen Eltern bedeutet, nach oben zu gehen, was sie zum Glück sofort taten. Sie haben sich in dem Schrank versteckt, in dem auch Federmann schon saß. Es war zwar seine Pistole, aber er konnte nicht schießen!
Einer der Männer versuchte mir die Waffe abzunehmen, aber das ist ihm natürlich nicht gelungen, ich war schneller als er… Und dann habe ich sie alle nacheinander abgeknallt, Mo, so was hast Du noch nicht gesehen. Das waren alles feige Hunde, die konnten gar nicht kämpfen. Nach Wagners erstem Schuss bin ich auf den Tisch gesprungen und von dort unter das Sofa. Damit habe ich solche Verwirrung gestiftet, dass ich sie mir einzeln vorknöpfen konnte. Sie versuchten zwar zurückzuschießen, haben aber immer danebengetroffen, denn ich war jedes Mal schon wieder woanders. Wie ein Pingpongball. Blitzschnell ging das. Irgendwann lag dann das ganze Zimmer voller erschossener NSBler. Ihr Anführer, dieser dreckige Schläger, hatte ein hübsches Loch in der Stirn. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie viel Spaß es gemacht hat, diesen Banditen umzulegen. Zum Glück hatte mein Vater den Sommer über an einem Schwimmbecken im Garten gegraben – in die Grube konnten jetzt die Leichen. Wir haben sie alle da hineingeworfen, Vater, F. und ich. Das war ganz schön schwer… Meine Mutter hat geweint, aber sie war so froh… Und danach haben wir uns das Polizeiauto genommen und sind damit nach IJmuiden gefahren. Gott sei Dank wurden wir unterwegs nicht angehalten! In IJmuiden hat uns dann jemand Karten für die Fähre nach England besorgt, im Tausch gegen das Auto, und in England ist es uns dann gerade noch geglückt, auf ein Hospitalschiff nach Amerika zu kommen. Diesen Brief schreibe ich Dir aus New York. Man kann sich hier richtig wohl fühlen. Wir haben ein sehr schönes Haus gefunden, und Vater hat eine Anstellung als Opernsänger an der New Yorker Oper bekommen. Ich schreibe Dir bald wieder!
Dein Freund Herman
Dank
In den meisten amerikanischen Romanen folgen an dieser Stelle die Acknowledgements, die Dankesworte an diejenigen, die zum Zustandekommen des Buches beigetragen haben. Nach zwei Jahren in Kalifornien, wo ich an Der Sohn gearbeitet habe – das erste Jahr in Malibu, das zweite in Santa Monica –, kann (und will) ich zwar weder mich noch diesen Roman amerikanisch nennen, aber ich mag Acknowledgements. Es gibt eine ganze Reihe von
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