Der Sommer der Frauen
durch die Kanäle, stieß auf
Harry und Sally
, drehte die Lautstärke auf, um ihre Stimme zu übertönen und wählte seine Nummer. Wie jedes Mal, wenn sie ihn anrief, klopfte ihr Herz wild in ihrer Brust – und rief ihr damit all das ins Gedächtnis, wovon sie immer geträumt hatte. Sie flüsterte, aber laut genug, um Billy Crystal zu übertönen, der Meg Ryan gerade erklärte, was mit ihr nicht stimmte.
Dreißig, vielleicht auch vierzig Minuten später – Lolly hatte die Zeit vergessen – unterbrach die Zentrale der Telefongesellschaft das Telefonat mit einem Notruf. Lolly schrak zusammen und willigte ein, den Anruf anzunehmen. Es war die Polizei von Boothbay Harbor.
Es tat ihnen leid.
Lolly würde nie vergessen, wie sie in jener Nacht den Hörer fallen ließ, fast wie in Zeitlupe, wie Körper und Atem völlig still wurden, während sie fassungslos Billy Crystals Gesicht anstarrte. Selbst heute noch, fünfzehn Jahre später, konnte sie es nicht ertragen, Filme mit Billy Crystal zu sehen. Sie ertrug weder seinen Anblick noch seine Stimme. Ihre liebe Freundin Pearl hatte einmal angemerkt, was für ein Glück es war, dass sie umgeschaltet hatte. Wäre
Silkwood
gelaufen, hätte Lolly den Anblick von Meryl Streep in ihrem ganzen Leben nie wieder ertragen.
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1. Isabel McNeal
I sabels Plan zur Rettung ihrer Ehe bestand aus drei Dingen: ein altes, italienisches Rezept für Ravioli mit Dreikäsesoße, die Erinnerung an all das Gute ihrer gemeinsamen Vergangenheit und der an sich selbst gerichtete Schwur, die Sache, die Edward und sie auseinandertrieb, nie wieder auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen. Sie liebte ihren Mann, sie tat es seit ihrem sechzehnten Lebensjahr, und das musste genügen. Sie stand am Küchentresen, neben dem mit schwarzer Tinte hingekritzelten, fast unleserlichen Rezept ein klebriger, grauer Klumpen Nudelteig, den sie irgendwie zusammengemantscht hatte. Sollte das wirklich so aussehen?
Isabel angelte sich ein Kochbuch aus dem Regal über dem Tresen, Giada De Laurentiis’
Italienisches für jeden Tag
, und schlug die Nudelteige nach. Ihr Klumpen sah definitiv nicht aus wie bei Giada. Dann würde sie eben noch mal von vorne anfangen. Sie hatte noch fünf Tage, um das Rezept richtig hinzukriegen. Nächsten Dienstag feierten sie ihren zehnten Hochzeitstag, und Isabel war fest entschlossen, zu diesem Anlass den letzten Abend ihrer Hochzeitsreise in Rom auferstehen zu lassen: jenen Abend, an dem sie beide, gerade mal einundzwanzig und schwer verliebt, spätabends um die Ecke der Fontana di Trevi, wo sie Münzen ins Wasser geworfen und sich etwas gewünscht hatten, auf ein Kleinod von Lokal gestoßen waren, mit Tischen im Freien. Als sie sich in der herrlich lauen Augustnacht an einen der kleinen runden Tische setzten, über sich den leuchtenden Fingernagelmond, während aus der Ferne leise die Klänge einer italienischen Oper herüberwehten, verriet Edward ihr seinen Wunsch am Brunnen: Das Leben solle immer so bleiben, denn
sie
sei sein Leben. Isabel hatte sich genau dasselbe gewünscht. Bei Ravioli mit Dreikäsesoße, die sie beide als überirdisch köstlich deklarierten, gestand Edward ihr dann, dass er sie mehr liebte als alles andere auf der Welt und dass er sie immer lieben würde. Dann stand er auf, streckte ihr seine Hand entgegen und küsste sie so innig und romantisch, dass der Besitzer des Lokals sie hineinbat, um ihnen das Raviolirezept zu geben. In einer alten Küche stand seine noch ältere Mutter am Herd, die mit ihrer krummen Nase, dem strengen, schwarzen Kleid und dem dichten Haarknoten im Nacken durchaus etwas Hexenhaftes an sich hatte, und rührte in großen, gusseisernen Töpfen. Doch bei ihrem Anblick lächelte sie, küsste sie beide herzlich auf die Wangen und schrieb ihnen dann das Rezept auf, auf Italienisch natürlich. Ihr Sohn übersetzte es für sie und fügte hinzu:
Meine Mutter sagt, dieses Rezept hat magische Kräfte und wird für eine lange und glückliche Ehe sorgen
.
All die Jahre hatte Isabel das Rezept zusammengefaltet in ihrer Geldbörse aufbewahrt. Und ursprünglich hatte sie vorgehabt, diese ganz besonderen Ravioli künftig zu jedem Hochzeitstag zu kochen, doch dann waren sie und Edward jedes Mal ausgegangen oder auf Reisen gewesen. Außerdem hatte der Zauber ihres gemeinsamen Flitterwochennudeltellers all die Jahre verlässlich gewirkt, und Isabel hatte keine weitere Unterstützung für eine lange und glückliche Ehe gebraucht
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