Der Sommer der Frauen
Dunkelheit geflüstert: «Edward? Bist du wach?»
Er hatte zur Antwort etwas Unverständliches gemurmelt, also hatte sie Mut gefasst, tief Luft geholt und ihm davon erzählt, wie oft sie in letzter Zeit darüber nachgedacht hätte, wie es wäre, ein Kind zu bekommen. Edward hatte so lange geschwiegen, dass Isabel schließlich dachte, er wäre wieder eingeschlafen, doch dann hatte er geantwortet: «Wir haben einen Pakt, Iz.» Am nächsten Morgen hatte er ihr dann ins Gedächtnis gerufen, weshalb sie diesen Pakt geschlossen hätten. Zuerst einfühlsam, schonend. Dann nicht mehr ganz so schonend.
«Aber was ist, wenn ich meine Meinung geändert habe?»
«Tja, dann befinden wir uns wohl in einer Pattsituation, würde ich sagen», hatte seine Antwort gelautet.
Sie hatte versucht, ihm klarzumachen, dass sie sich beide weiterentwickelt hatten, nicht mehr die verängstigten Teenager von damals waren, dass sie nicht mehr gezwungen waren, Regeln einzuhalten, die sie sich in einem Zustand von Leid und Angst selbst auferlegt hatten.
Er hatte sie mit zornigem Blick angestarrt und gesagt: «Ich will keine Kinder, Isabel. Ende der Diskussion. Wir haben einen
Pakt
!» Er hatte das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zugeknallt.
Nach ein paar Monaten voller Gespräche mit dem immer gleichen Inhalt fingen beide an, das Thema zu meiden – doch sie mieden nicht nur die Diskussion, sie fingen auch an, einander zu meiden. Isabel verbrachte noch mehr Zeit im Krankenhaus, damit, Menschen zu helfen, die gerade einen Verlust erlitten hatten. Wenn sie einmal nicht gebraucht wurde, was eher selten vorkam, stand sie am Fenster zur Säuglingsstation, betrachtete die winzigen Babys, schloss angesichts der quälenden Sehnsucht in ihrem Herz die Augen und überließ sich mit jeder Faser ihres Körpers dem Wunsch nach einem Kind. Ihre Wut auf Edwards unnachgiebige Haltung machte sie stumm, und Edward zog sich immer mehr zurück. Dieser Rückzug beschränkte sich nicht darauf, abends immer später nach Hause zu kommen und immer öfter auch samstags zu arbeiten. Er vermied es, mit ihr im selben Zimmer zu sein. Irgendwann kam er auch nicht mehr nach oben ins Bett. Morgens fand Isabel ihn schlafend auf der Wohnzimmercouch oder dem viel zu kurzen Zweiersofa in seinem Arbeitszimmer. Wenn er sich doch einmal, was immer seltener vorkam, zu ihr an den Frühstückstisch setzte, hatte sie das Gefühl, unglaublich einsam zu sein, obwohl Edward nur einen knappen Meter von ihr entfernt saß.
«Edward, wir müssen reden. Wir müssen diese Sache klären», sagte sie immer und immer wieder zu ihm, beim Frühstück, in E-Mails, in Telefonaten, mitten in der Nacht, wenn sie wieder mal allein aufwachte und nach unten ging, wo er entweder vor einem Spiel der Red Sox saß oder einfach nur vor sich hinstarrte, den Kopf zwischen den Händen. Wenn sie ihn dann so sah, hielt sie inne. Verängstigt. Plötzlich völlig unsicher, wie sie an diesen Mann herankommen sollte, den sie doch schon ihr halbes Leben lang kannte.
Also hatte Isabel es vor ein paar Monaten aufgegeben, während der Arbeit im Krankenhaus mit dem Aufzug in den dritten Stock zur Säuglingsstation zu fahren und die Neugeborenen zu betrachten. Sie hatte aufgehört, sich vor dem Einschlafen mit Gedanken an winzige römische Nasen und grünbraune Augen zu beschäftigen, an kleine Gesichter, die eine Mischung aus ihrem und dem von Edward waren. Sie hatte einen Pakt geschlossen. Sie hatte geheiratet und ein Ehegelöbnis abgelegt, und zwar unter dem Einfluss eines Paktes. Und daran würde sie festhalten. Edward hatte sie gerettet, und jetzt würde Isabel sie beide retten. Ihre Ehe retten, die neun Jahre lang so unerschütterlich gewesen war. Neun Jahre lang war er durch die Haustür getreten, hatte sie in die Arme genommen und geküsst, als befänden sie sich noch immer in den Flitterwochen. Sie liebten sich und sahen sich im Bett alte Spielfilme an und teilten sich dabei ihr Lieblingsgericht vom Chinesen. Er hörte sich ihre Geschichten aus dem Krankenhaus an, all die traurigen Geschichten, und er hielt sie im Arm, bis sie wieder atmen konnte. Und wenn sie zu den Feiertagen pflichtschuldig ihre Besuche bei Isabels Familie in Maine absolvierten und ihr wieder einmal alles zu viel wurde – in der Pension zu sein, die ständigen Streitereien mit ihrer Schwester –, dann unternahmen Edward und sie Spaziergänge im Hafen, so wie früher, Hand in Hand, und schon war alles wieder gut.
Du und ich, für
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