Ersehnt
Vor drei Jahren …
Y ou are my sunshine, my only sunshine. You make me happy when skies are gray. You never know dear …
Hör nicht auf zu singen, Mama. Nicht jetzt. Es tut mir leid, dass ich weggegangen bin. Ich wollte einfach nur ein wenig leben. Ich bin nicht so ängstlich wie du. Ich möchte nur so gern, dass du weitersingst. Bitte sing für mich. Tu das nicht. Geh nicht zu ihm. Er war nicht real. Siehst du das denn nicht? Er war nie real. Er ist schon seit sechzehn Jahren tot.
Ich hätte jemandem von dir erzählen sollen. Das alles ist allein meine Schuld. Du hast Hilfe gebraucht, und ich habe keine geholt. Vielleicht habe ich mich ja doch auch gefürchtet … davor gefürchtet, dass sie dich mitnehmen würden.
»Della, Süße, gib mir deine Hände. Wir müssen sie waschen. Komm, schau mich an, Della. Komm zu mir zurück. Sie ist weg, aber alles wird gut. Wir müssen dich nur säubern. Man hat sie mitgenommen, und es wird Zeit, dieses Haus zu verlassen, für immer. Es gibt kein Zurück. Bitte, Della, sieh mich an. Sag was!«
Ich blinzelte die Erinnerungen weg und sah zu Braden hoch, meiner besten Freundin. Sie wusch mir mit einem nassen Waschlappen das Blut von den Händen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ich hätte aufstehen und mir das alles selber abwaschen sollen, aber ich konnte nicht. Das musste sie für mich nicht tun.
Mir war immer klar gewesen, dass das eines Tages passieren würde. Wenn auch vielleicht nicht genau, wie. Ich hatte mir meine Mom nie tot vorgestellt. Meistens bekam ich Schuldgefühle, wenn ich meine Tagträume bis zu diesem Punkt wandern ließ. Die mich allerdings nicht davon abhielten, erneut darüber nachzudenken. Ich gab es deswegen nicht auf, mir meine Freiheit vorzustellen.
Ich hatte immer gedacht, jemand würde begreifen, dass meine Mutter nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Dass man dahinterkäme, dass ich nicht so ein seltsames Kind war, das den ganzen Tagen drinnen bleiben wollte und sich weigerte, sich der Wirklichkeit zu stellen. Ich wollte, dass sie dahinterkamen … aber ich wollte es auch wieder nicht. Bekäme ich meine Freiheit nämlich, so hätte das den Verlust meiner Mutter zur Folge. So verrückt sie auch war, das wusste ich, sie brauchte mich. Ich konnte nicht zulassen, dass sie sie holten. Sie hatte sich einfach nur extrem gefürchtet … vor allem.
Vier Monate später
A ls Braden mir ihr altes Auto überlassen und mir erklärt hatte, ich solle losfahren und mir die Welt ansehen, hatte keine von uns beiden daran gedacht, dass ich keine Ahnung davon hatte, wie man tankte. Meinen Führerschein hatte ich gerade mal seit drei Monaten. Und einen fahrbaren Untersatz erst seit fünf Stunden! Bis jetzt hatte ich übers Tanken einfach nicht Bescheid wissen müssen.
Ich kramte in meiner Tasche und holte mein Handy hervor. Ich würde Braden anrufen, die mich dann hoffentlich mit Fernanweisungen durch den Tankvorgang lotsen würde. Allerdings befand sie sich gerade in den Flitterwochen. Zu blöd, dass ich sie da stören musste. Als sie mir am Vormittag mit den Worten »Mach dich auf und finde dein Leben, Della!«, die Autoschlüssel in die Hand gedrückt hatte, war ich angesichts der Großartigkeit dieser Geste so fassungslos, dass ich gar nicht daran gedacht hatte, irgendwelche Fragen zu stellen. Ich hatte sie einfach nur umarmt und zugeschaut, wie sie mit ihrem frisch angetrauten Mann Kent Frederick davongerannt und in das Hochzeitsauto gestiegen war.
Es war mir noch nie in den Sinn gekommen, dass ich kein Benzin tanken konnte. Bis jetzt. Mein Tank war so leer, dass ich diese kleine Tankstelle in irgendeinem Küstenort irgendwo am Ende der Welt gerade noch im Leerlauf erreicht hatte. Nun lauschte ich geknickt Bradens Ansage: »Leider bin ich gerade nicht verfügbar. Wenn Sie mich erreichen wollen, schlage ich vor, Sie legen auf und schicken mir eine SMS .« Ihre Mailbox. Wahrscheinlich saß sie gerade in einem Flugzeug. Das Problem hier würde ich allein in den Griff kriegen müssen. Ich stieg aus dem kleinen, verblichenen roten Honda Civic. Zum Glück hatte ich ihn auf die richtige Seite der Zapfsäule gelenkt. Ich wusste, dass man den Stutzen in das Türchen stecken musste, denn ich hatte schon zugeschaut, wie Braden das machte. Das schaffte ich. Vielleicht.
Doch zunächst stellte sich die Frage, wie man dieses magische Türchen überhaupt aufbekam. Da war es, gut sichtbar, aber es hatte keinen Griff. Ich starrte es einen Augenblick an und blickte mich
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