Der Sommer der Toten
entscheiden, wessen Opfer erbracht wird.
„Mit Blicken tötet?“, fragte Klaus verständnislos. „Was ist denn das für eine neue Nummer?“
„Keine Ahnung“, gab Anna zu. „Aber es scheint, als ob unser lieber Vater Inquisitor die Angelegenheit zur Chefsache erklärt hat.“
Vater Inquisitor ...
... wenn der Vater zurückkehrt ...
Bianca war wie betäubt.
Sie drehte sich um und sah das alte Buch mitsamt ihrem Block noch auf dem hinteren Tisch liegen.
Mit einem Male wusste sie, was sie zu tun hatte.
Sie stand auf und küsste den völlig überraschten Klaus innig.
„Klaus“, sagte sie danach so sanft wie möglich. „Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich liebe, wie ich noch nie einen Menschen geliebt habe.“
Dann eilte sie zu dem hinteren Tisch und raffte Buch und Block zusammen.
„Ich gehe mal kurz auf mein Zimmer“, rief sie den anderen zu. „Ich möchte noch mal in Ruhe etwas überprüfen. Kann sein, dass ich eine Idee habe.“
Danach verließ sie den Gastraum. Sie hoffte innig, dass niemand bemerkte, dass sie krampfhaft einen Weinkrampf unterdrückt hatte.
21.
Der Beamte in der Einsatzleitstelle war überfordert. Nichts von dem, was er in dieser Nacht bewältigen musste, hatte er je auf der Polizeischule oder im Polizeialltag gelernt. Nach ersten groben Schätzungen hatten die Zombies bereits rund einhundertzwanzig Bewohner des Ortes abgeschlachtet. Dabei würde es sicherlich noch viel mehr Tote geben, die den Polizisten verborgen geblieben waren, da das in Hinterhöfen, Gärten und sonstigen schwer einsehbaren Stellen stattgefunden hatte.
Ein weiteres Problem bestand darin, dass die Dorfbewohner, die zwar getötet, aber nicht allzu sehr verstümmelt wurden, ebenfalls zu Zombies wurden, wodurch sich so nach und nach die Anzahl der Untoten überproportional vermehrte, was schließlich auch dazu führte, dass die Polizei langsam aber sicher deutlich unterrepräsentiert war.
Der Beamte hoffte, dass von Annas Seite eine brauchbare Lösung kommen würde, bevor sie komplett die Kontrolle über die Situation verloren.
Der Polizist mochte sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sie unverrichteter Dinge abziehen und das Dorf seinem eigenen Schicksal überlassen müssten.
Würde das Innenministerium die Bundeswehr hineinschicken, um das Dorf und alles, was sich bewegte, in Schutt und Asche zu legen?
Oder würde sich die Sache ausbreiten, bevor die werten Herren Ministerialbeamten ihren Arsch hochbekommen hatten, sodass jede Chance, eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes zu verhindern, irreversibel vertan wäre?
Der Beamte verdrängte diese Gedanken und versuchte, sich wieder auf die Funksprüche und Meldungen, die in immer kürzeren Abständen zu ihm hereindrangen, zu konzentrieren.
Hinter ihm wurde die Tür geöffnet.
Er drehte sich um und ihm gefror das Blut in den Adern.
Vor ihm stand Eichhorn.
22.
Bianca hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen und heulte sich die Seele aus dem Leib.
Das, was die ganze Zeit fast offen vor ihr lag, hatte sie deswegen nicht gesehen, weil sie es nicht sehen wollte.
Sie nahm das Buch und las sich die wichtigen Passagen des Textes noch mal durch. Jetzt, unter dem Blickwinkel dessen, was sie nun erkannt hatte, bekamen auch die Passagen, die sie nicht verstanden hatte, einen Sinn.
Sie ging ins Bad, putzte sich die Nase und trocknete ihre Tränen. Dann setzte sie sich an den Tisch, nahm den Block und begann zu schreiben.
23.
Jetzt ging es richtig los.
Von außen schlugen die lebenden Toten an die Jalousien des Gastraumes. In dem Stakkato der Schläge konnte man kaum noch ein Wort verstehen.
Anna, Klaus und Jens hatten sich in die hinterste Ecke des Gastraumes verzogen. Ihnen war ihre Angst deutlich anzumerken.
Es war zwar ziemlich idiotisch, sich einfach in die hinterste Ecke zu verstecken – wenn die Zombies herein kamen, würde das rein gar nichts nützen –, aber sie fühlten sich doch etwas besser, wenn sie nicht zu nahe am Fenster saßen.
Anna schrie auf, als die Hand eines Zombies nicht nur die Jalousie, sondern auch die Glasscheibe des Fensters durchschlug und die Scherben in den Gastraum regneten.
24.
Eichhorns Uniformjacke glänzte vor lauter Blut schwarzrot. Sein Hals existierte faktisch nicht mehr. In diesem riesigen blutigen Loch konnte man, wenn man genau hinsah, sogar schon die Halswirbelknochen sehen.
Der Beamte, der im Bus der Einsatzleitung Dienst schob, schrie auf. Sein Schrei war laut, schrill und man
Weitere Kostenlose Bücher