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Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Geopfert - [Gus Dury ; 1]

Titel: Geopfert - [Gus Dury ; 1] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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B ei Beerdigungen bekomme ich immer feuchte Augen. Um nicht missverstanden zu werden, ich meine nichts in der Richtung von: »Oh, er war ein großartiger Kerl, der viel zu früh von uns genommen wurde.« Mit diesem Kram komme ich schon klar. Mit alten Damen, die Wasser in den Beinen haben und einem Eier-Mayo-Sandwiches unter die Nase knallen, komme ich gerade noch zurecht. Mir das Zeugs in die Tasche zu schieben, neben die Pulle Alk, ist überhaupt kein Problem für mich. Solche Tanten hören sowieso nie zu, wenn man etwas sagt. Lass ein lockeres »Ach, ist das so?« oder »Wirklich? Nein, wirklich?« fallen, und sie freuen sich wie die Schneeköniginnen. Man darf sich nur nicht auf dieses Minenfeld verirren: »Und? Wie geht’s sonst so?« M-hmh. Das kann in einer Katastrophe enden.
    Es sind Details wie die Todesursache, die mich völlig fertigmachen. Da greife ich doch sofort nach dem zwölf Jahre alten Macallan, der bei solchen Anlässen bereitgestellt wird. Und dann schlag ich richtig zu. Nicht nur, weil Säufer das eben so machen. Sondern weil ich weiß, dass es in meiner Branche nicht gut rüberkommt, wenn man solche Dinge wie Beerdigungen und Todesfälle zu sehr an sich ranlässt.
    In Augenblicken wie diesem, wenn dir der Tod so nahe kommt, wenn er vor deiner Haustür aufkreuzt und sich selbst aufmacht, in solchen Momenten zucke ich zusammen. Zucke richtig hart zusammen. Ich meine, wer würde da nicht zusammenzucken?
    »Gus. Gusgo. Gusie-Boy …«
    Das große Können dieses Mannes, hundert Prozent pure Säuferkunst, einfach so aus meinem Namen Poesie zu machen.
    »Gus, hast du gehört, was passiert ist, bevor … du weißt schon …?« Malky Conroy, einer der größten Klugscheißer von ganz Edinburgh, fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als hielte er einen Granatwerfer.
    »Pa-damm-pa-damm«, ein armseliger Versuch von Gangster-Jargon.
    Ich versuchte einen ernsten Tonfall beizubehalten. Ich meine, wir sprachen hier immerhin über den Tod eines Mannes. Zugegeben, eines Mannes, den ich kaum kannte. Ich war ihm maximal zweimal begegnet. Doch aus Respekt seinem Vater gegenüber dachte ich im Traum nicht daran, auf Billy-Boys Beerdigung Krawall zu machen.
    »So hört sich eine Schrotflinte an«, sagte Malky, »wenn sie losgeht.«
    Ich nickte, richtete mich auf. »Verstanden.« Ich trank meinen Kaffee mit einem Schuss billigem Whisky aus und zerknüllte den Styroporbecher.
    Aus Gründen, die am besten das Geheimnis von Billy und seinem Grab bleiben, fand sich der arme Bursche eines Abends am falschen Ende einer abgesägten Schrotflinte wieder. Eines Abends, das klingt so zivilisiert, oder? Aber auch nicht im entferntesten. Es sei denn, man nennt es zivilisiert, einen Burschen von gerade mal zwanzig zu finden, in dessen Gesicht beide Läufe abgefeuert wurden.
    Genau dieser Anblick bot sich eines Morgens einer alten Jungfer, die mit ihrem Westie am Fuß von Arthur’s Seat Gassi ging. Offiziell wurde als Todesursache Selbstmord festgestellt, aber das glaubte kein Mensch.
    »Wie ich schon sagte«, fuhr Malky fort, beugte sich herüber und klebte förmlich an meinem Jackenaufschlag, »bevor sie, also …« Er versuchte zu flüstern, aber besoffen, wie er war, kam es viel zu laut heraus. Ich brachte mein Gesicht vor der herumfliegenden Spucke in Sicherheit, die er aus seinem Mund verteilte. »Tja, du weißt ja, was die am Schluss gemacht haben. Aber vorher, vorher haben die …«
    Malky richtete sich auf und schlurfte einige Schritte zurück. Seine Hush Puppies quietschten auf dem Laminatboden der Kirche. Und dann tat er es. Ich konnte nicht glauben, dass er es wirklich machte, aber er hat’s getan … Er berührte die Seite seiner Nase und zwinkerte mir kaum merklich zu.
    Es kam mir wie ein einmaliger Augenblick vor. Mach einen Film daraus, und das ist genau die Szene, die dir den Oscar bringt. Seiner eigenen Vorstellung nach war er in Spitzenform. Das war seit Jahren der pikanteste Tratsch, der ihm zu Ohren gekommen war, und es juckte ihn gewaltig, das weiterzuerzählen.
    Er schlurfte wieder, kam ganz dicht heran. Gott, er sah ziemlich derb aus, ungefähr so wie Johnny Cash 2008. Ein weißer Kranz getrockneter Spucke klebte an Malkys Lippen, an den Mundwinkeln aufgefächert wie das Mekong-Delta … Mein Gott, mit dem Atem dieses Kerls hätte man locker die Forth Bridge demontieren können.
    »Hör zu, Gus, von mir hast du das jetzt nicht«, sagte er, »aber ich weiß hundertprozentig, da war …« – er warf

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