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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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sofort beunruhigt. Er rief sonst nie an.
    »Was gibt es?«
    Die böse Vorahnung mußte an ihrem Tonfall zu hören gewesen sein. David sah jäh auf, den Schreiber über dem gelben Schreibpapier haltend.
    »Deine Mama ist erkrankt.«
    Eine kümmerliche Erklärung, ohne Gefühl, obwohl er Mama noch Zuneigung entgegenbrachte. Und dazu der steife Ausdruck »erkrankt«.
    »Was gibt es?« fragte sie noch mal. Ihre Gedanken überstürzten sich ziellos. David stand auf und legte den Arm um sie. »Was ist?« flüsterte er. Sie schüttelte, selbst in Ungewißheit, den Kopf.
    »Sieht nach Schlaganfall aus«, äußerte Papa in seiner lakonischen Art. Sie konnte sich ihn genau vorstellen, halb gebeugt während des Sprechens, graumeliert, hausgemachter schartiger Haarschnitt, ständig nach unten gezogene Mundwinkel. »Vor einer Woche wird es gewesen sein. Stimmt, letzten Freitag.«
    »Letzten Freitag! Papa! Warum hast du so lange zugewartet, ehe du … ist sie …?«
    »Sie hat es überlebt. Am ganzen Körper gelähmt. Und dann, nun ja, wir haben dich seit fast drei Jahren nicht mehr gesehen, Katherine«, sagte er in seiner gedehnten Sprechweise. Kein Vorwurf, nur eine Feststellung. »Außerdem habe ich das Telefon sperren lassen. Ich rufe vom Wagonwheel an.«
    Das war der Gemischtwarenladen in St. Alazara, Katies und Davids Heimatdorf, weit oben im Norden. Neben der Tür war das öffentliche Telefon. Sie konnte ihren Vater dort stehen sehen, hochgewachsen, gebeugt, an die Tür gelehnt. Jedesmal, wenn jemand herein wollte, mußte er ausweichen. Und Hercules Rasmussen, der Ladenbesitzer, lauschte und spähte ängstlich hinter dem hölzernen Ladentisch hervor.
    »Was ist?« flüsterte David drängend. Katie drückte seine Hand.
    »Das Telefon sperren lassen?« fragte sie laut. »Warum? … Ach, unwichtig! Was ist mit Mama?«
    »Kann ich nicht sagen«, sagte Papa. »Ich weiß es nicht. Doc Bates weiß auch nichts.«
    »Doc Bates behandelt Mama?«
    »Einen besseren haben wir hier nicht«, sagte Papa mit einem leisen Hauch von Abwehr, »für uns war er an die fünfzig Jahre gut genug.«
    »Aber Papa!«
    »Ich komme letzten Freitag nach Hause wie immer, so um die Abendbrotzeit. Hatte draußen die ›Letzten Vierzig‹ kurz inspiziert. Da lag sie auf dem Boden, bewußtlos. Sie wand sich, deine Mama. Ich rief Doc Bates und Reverend Mauslocher, wegen der Sterbesakramente, du weißt …«
    »Papa, wo ist Mama jetzt?«
    »In St. Cloud, im Krankenhaus. Morgen bringt man sie nach Hause.«
    »Bist du sicher, daß es gut für sie ist?«
    »Deswegen rufe ich dich an.«
    Er redete weiter, und Katie hörte zu.
    »Eine Sekunde«, sagte sie. »Ich werde David fragen.«
    Sie drehte sich zu ihm um.
    »Wie schlimm steht es?« fragte er.
    »Oh, David …« Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. »Sie … sie ist völlig gelähmt und kann nicht sprechen. Papa möchte, daß ich …«
    Sie brach zusammen und klammerte sich an ihn. Er nahm den Hörer auf.
    »Katie regt sich schrecklich auf, Mr. Jasper. David hier. Würden Sie …«
    »Ich weiß, wer dran ist«, klang es schleppend und unfreundlich durch das Telefon. »Und jetzt geben Sie mir wieder Katie.«
    Nur mit Mühe zügelte David sein aufbrausendes Temperament. »Was wollen Sie?« fragte er. Hoffentlich hatte es energisch geklungen. Bei dem Alten war nur mit Festigkeit etwas zu erreichen, wenn überhaupt. Und er wollte seiner Schwiegermutter, die seinen Ehrgeiz immer ermuntert und ihn nie geringschätzig behandelt hatte, beistehen.
    Katie klammerte sich an ihren Mann und hörte nicht auf zu schluchzen.
    Oben im Norden, im Wagonwheel, überlegte Ben Jasper einen Augenblick. Mit widerwilligem Schnaufen in der Stimme raffte er sich zu einem Entschluß auf.
    »Ich möchte Katie bitten, daß sie eine Zeitlang herkommt«, sagte er. »Damit sie ihre Mutter pflegt. Wird das gehen?«
    Sein Ton war von leichtem Widerstreben gefärbt. Landleute bitten nur höchst ungern um etwas, und Ben haßte es, von seinem Schwiegersohn etwas zu erbitten.
    »Natürlich«, sagte David. »Morgen bin ich bis drei am Gericht in Hennepin, aber gleich nachher fahren wir …«
    »Ganz, wie es euch paßt.«
    »Wir kommen. Spätnachmittags oder am frühen Abend …«
    »Warte«, sagte Katie und fuhr sich über die Augen. »Ich möchte ihm etwas sagen.«
    Sie nahm den Hörer. »Papa? Papa, bist du noch dran? Wir kommen. Natürlich kommen wir. Aber sieh zu, daß du auch Aggie Jensen bekommst. Wirst du es versuchen?«
    Schweigen

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