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Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman

Titel: Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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50 mg, riss die Versiegelung auf, war kurz dafür, sie mir ins Maul zu kippen, änderte meine Meinung in letzter Sekunde und legte die Pillen wieder zurück an ihren Platz. Ich brauchte sie nicht mehr. Das war ebenso erschreckend wie wunderbar. Die Sprache sonderte einen Stoff ab, der mich zur Ruhe kommen ließ. Stattdessen ging ich hinunter zum Flussufer, umringt von fremden, monotonen Geräuschen. Dort hockte ich mich hin, formte die Hände zu einer Schale und tauchte sie ins Wasser, es war schwarz und kühl, ein fließender Spiegel, der meine Züge verschob und mich in sein fließendes Bild umformte, zu einem Fremden, ein Fremder, mit dem ich leben konnte. Dann sollte dieser Fluss, der Snake River, zum ersten Spiegel werden, in dem ich mich anschaute, seit ich fünfzehn Jahre alt war. Da löste sich ein Schatten vom Grund, ein glänzender Schatten, der meine flüchtigen Züge ausradierte. Ein Fisch glitt über meine Hände und blieb dort liegen, als wünschte er, von mir hochgehoben zu werden. Ich tat es, als wäre das Teil eines größeren Plans. Ich hob diesen Fisch aus dem Wasser. Die Rückenflossen waren spitz und grün, die Schuppen ähnelten Nagellack. In dem Moment, als ich das tat, diesen schönen, schimmernden Fisch aus dem Element des Todes heraushob, fühlte ich mich selbst erhoben, nein, aufgehoben ist eher das Wort, einen Moment lang war ich selbst aufgehoben worden, ich, der ich früher Pillen, Schreiben und Schnaps gebraucht hatte, um etwas zustande zu bringen. Ich hob den Fisch hoch und der Fluss hob mich hoch. Es durchströmte mich. Ich befand mich auf der letzten Stufe. Dann legte ich den Fisch zurück ins Wasser und breitete die schwarzen Bettdecken des Snake River über ihn.
    Ich ging zum Auto zurück. Erst da bemerkte ich das Schild, das neben der Kreuzung stand. Solvang. 2467 Einwohner. Warum nicht? Dorthin sollte ich also gehen. Ich fuhr in diese Richtung. Eine halbe Stunde später war ich dort. Die Straßen lagen einsam und verlassen da. Die Fenster in den niedrigen Häusern waren dunkel. Das einzige Licht, das ich schließlich entdeckte, kam vom Solvang Grand Hotel. Ich stellte den Wagen an einem der Springbrunnen ab, auf dem eine Meerjungfrau aus grünem Kupfer auf einem Fels saß, derjenigen, die in Kopenhagen sitzt, nicht ganz unähnlich. Ich trug die Koffer an die Rezeption. Hinter dem Tresen stand ein übertrieben freundlicher magerer Mann. Ob er ein Zimmer frei hätte? Er blätterte diverse Papiere durch, schüttelte mehrere Male den Kopf. Ich schaute mich um, sah keinen einzigen Gast. »Ich habe es geschafft«, sagte der Mann an der Rezeption. »Zimmer 112. Ein sehr schönes Zimmer. Wie lange wünschen Sie zu bleiben?« Ich war kurz davor zu antworten: Wie lange darf ich nicht bleiben? Doch die Zeit war vorbei, dass ich so geredet hatte. »Das kommt darauf an«, sagte ich. »Das sagen alle.« »Erst einmal eine Woche.« »Gut. Darf ich Ihren Pass sehen, während Sie dieses kleine Formular ausfüllen, nur der Ordnung halber?« Ich gab ihm meinen Pass und der übertrieben freundliche Mann zeigte ein betrübtes Gesicht. »Sind Sie Däne?«, fragte er in klingendem Dänisch. »Zumindest bin ich dänischer Staatsbürger«, antwortete ich auf Norwegisch und lachte. »Bin ich in Dänemark gelandet?« Der Mann am Empfang beugte sich über den Tresen. »Es hätte Dänemark sein können, mein Herr. Wenn die dänischen Immigranten ihren Willen bekommen hätten.« »Was wollten sie denn?« »Hier eine dänische Kolonie gründen. Stattdessen wurde es nur eine Kopie, nichts anderes als ein Legoland.« »Sitzt deshalb die kleine Meerjungfrau da draußen?« »Wir haben auch den Runden Turm. Und H. C. Andersen, Windmühlen und Kopenhagener.« Er gab mir meinen Pass zurück. Ich bezahlte für drei Nächte im Voraus, bekam den Schlüssel, trug die Koffer hinauf in den ersten Stock und schloss auf. Das Zimmer sah aus wie ein Wohnzimmer mit Himmelbett und geblümter Tapete. Es lag eine Schachtel mit Kongen av Danmark auf dem Kopfkissen. Ich packte die Schreibmaschine aus, setzte mich an den kleinen Tisch vor dem Fenster und drehte eine Papierseite auf die Walze. Ich hatte alle Zeit der Welt und keine Zeit zu verlieren. Draußen war alles gleich dunkel. Ich entschied mich für doppelten Zeilenabstand und fing an zu schreiben. Allein das Geräusch der Tasten erfüllte mich mit Dankbarkeit. Manchmal schlug ich vorsichtig an, wenn es ein zartes Wort war, mit dem ich es zu tun hatte. Andere Male hämmerte

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