Der Sommerfaenger
arbeitete, zu wichtig. Er bückte sich zu Molly hinunter, die zu seinen Füßen saß und ihn anhimmelte. Ihr flauschiges Fell war warm von der Sonne. Sie schnurrte und ließ sich auf den Rücken fallen, zeigte ihm ihr Vertrauen, indem sie ihm ungeschützt den Bauch darbot.
»Ich würde Jette niemals wehtun«, sagte Luke.
»Das würde ich dir auch nicht raten.«
Imke Thalheim richtete ihre Kuchengabel auf ihn wie den Dreizack Neptuns.
»Wage es nicht, meine Tochter jemals zu verletzen.«
Hatte er sich verhört oder hatte sie ihm gerade das Du angeboten?
»Hast du mich verstanden, Lukas Tadikken?«
»Meine Freunde nennen mich Luke.«
Er hörte sich diesen abgedroschenen Satz aus Tausenden von Filmen aussprechen und dachte im nächsten Moment daran, dass er überhaupt keine Freunde besaß.
Keinen außer Albert.
Eine ziemlich bescheidene Bilanz.
»Die meisten andern auch«, ergänzte er und sah erleichtert das amüsierte Lächeln in Imke Thalheims Augen.
Sie stießen mit Kaffee an, und Luke versuchte, nicht an die Zukunft zu denken.
»Auf Jette und dich«, sagte Imke Thalheim.
Wie wunderbar sich das anhörte. Und wie falsch.
Luke schloss für eine Sekunde die Augen. Dann hatte er sich wieder im Griff.
»Und auf … dich«, sagte er.
Ein Geräusch ließ Imke Thalheim den Kopf heben. Sie schaute über Lukes Schulter zur Scheune, und ihr Gesicht wurde aufmerksam und still. Luke drehte sich um. Auf dem Dach der Scheune war ein Bussard gelandet und starrte zu ihnen herüber.
»Alle dachten, er sei tot«, erklärte Imke Thalheim, ohne das Tier aus den Augen zu lassen, »doch plötzlich war er wieder da.«
»Ist er zahm?«
Sie schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein. Er ist wild. Und er ist magisch. Er beschützt die Menschen, die mir wichtig sind.«
Als hätte sie damit zu viel von sich preisgegeben, hob sie die Kaffeetasse an die Lippen und senkte den Blick.
Die Stimmung hatte sich verändert, seit der Bussard aufgetaucht war. Imke Thalheim hatte sich verändert. Mit dem Du war sie einen Schritt auf Luke zugegangen, jetzt hatte sie zwei Schritte rückwärts getan.
Immer wieder wanderte ihr Blick zum Scheunendach. Etwas geschah zwischen dem Vogel und ihr.
Und etwas war mit Luke geschehen. Er konnte nicht so weitermachen, als sei nichts passiert, denn damit gefährdete er auch andere. Imke. Tilo. Jette. Albert. Die WG .
Er musste sich entscheiden.
*
Der DPD -Fahrer setzte das letzte der zwanzig Pakete ab, ließ sich den Empfang quittieren, stieg in seinen Wagen und fuhr davon. Merle gab sich einen Ruck und schleppte das erste Paket in die Scheune. Es war nicht besonders schwer, aber es war groß und unhandlich und die Dinger würden sich schlecht stapeln lassen.
Sie rief nach Mike.
Der kam aus seiner zukünftigen Werkstatt, mit vollen Backen kauend, von oben bis unten mit weißer Farbe bekleckert, den Rest eines Rosinenbrötchens in der Hand.
»Hilfst du mir mal kurz?«
Mike vertilgte das letzte Stück und wischte sich die Krümel vom Mund.
»Machen wir einen Laden auf für irgendwas?«, fragte er nach einem Blick auf die Lieferung, die die Zufahrt zur Scheune komplett blockierte.
»Nein. Wir machen jemanden fertig.«
Merle grinste ihn breit an.
»Und das da ist Teil unserer Munition.«
Sie fingerte an einem der Pakete herum, riss das Klebeband ab und klappte den Deckel auf. Dann zog sie einen Plüschfuchs heraus. Mike sah ihr verständnislos dabei zu, wie sie anschließend einen Plüschtiger aus dem Paket hob, danach ein Kaninchen.
»Außerdem haben wir noch Bären, Leoparden, Wölfe, kleine Seehunde …«
»Wofür brauchst du die?«
»Für unsere nächste Tierschutzaktion.«
»Ihr klaut Versuchstiere aus einem Labor und setzt Plüschhasen in die Käfige?«
»So ungefähr.« Merle lachte. »Packst du mal eben mit an?«
Während sie die Pakete in die Scheune transportierten, erzählte Merle von der Aktion.
»Wir nehmen uns die Villa von Gabriel Zumberg vor.«
»Gabriel Zumberg? Ist das nicht dieser Designer …«
»… der die angesagtesten, abgedrehtesten Pelzkollektionen entwirft. Exakt.«
»Und der wohnt wo?«
»In Emden, Ostfriesland. Braucht die Inspiration des Nordens, hat er in Interviews behauptet. Inspiration!«
Merle verzog angewidert das Gesicht.
»Ich bitte dich! Seit wann braucht man für das Abschlachten und Häuten wehrloser Tiere denn irgendeine Art von Erleuchtung?«
»Die Felle sind ja bloß sein Arbeitsmaterial.« Mike setzte das letzte Paket in der Scheune
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