Der Sonntagsmonat
Augen – Schlitze einer Maske. Durch die das Blau des Himmels sichtbar wird wie auf einem von Magrittes unheimlichen Freilichtbildern. Gottes Augen, meine Lider.
Reverend Mr. Thomas Marshfield, im April 41 Jahre alt geworden, 1,75 Meter, 142 Pfund, blaß und nervlich labil, doch hier und da mit unerwarteten Muskelwirbeln ausgestattet – die Knie, die Polster der Handfläche, etwas Bulliges und Stämmiges rings um den Halsansatz wie ein fester Kragen und die ausladenden Schultern. Einst Zwischenspieler in der Baseball-Mannschaft, einst ponyhaft tänzelnder Läufer. Jetzt kahl werdend. Rötlich die Platte, wenn ich mich zum Licht neige, sonst ein gibbonartiger Heiligenschein aus bronzefarbenem Flaum. Mausbüschel über totenblassen Ohren. Leicht rot getönt, die Büschel – Feldmäuse? Mit den Augenbrauen ist nicht viel los. Auch mit den Lippen nicht: mein Mund, zwei Schlangen mit wachsamem Ausdruck, als seien sie bereit, loszuschnellen und sich in einem Hagel von zweideutigen Reden zu entladen, hat mir nie gefallen, auch wenn er anderen angeblich durchaus gefiel. Das Kinn ist eine Spur zu lang. Desgleichen die Nase, die jedoch dünn genug und hinreichend ungleichmäßig gebogen ist, um jeden Anschein eines gewaltsamen Hebraismus zu vermeiden. Ein noch immer unruhig bewohntes Gesicht, bewohnt von einem Mieter, der auf die Überprüfung seiner Kreditwürdigkeit wartet. In diesem Interregnum weder hübsch noch herrisch, doch wenigstens ohne etwas Plumpes darin und – einer Lampe gleich – mit einer im verborgenen glühenden Bereitschaft, sich allem Gängigen zu widersetzen. Ich habe es nie wissentlich versäumt, das oberste, das geheime Gebot zu halten, das da lautet: Nimm die Welt der Natur, o du als Parodie meiner selbst geschaffene Kreatur, und verwandle ihre Materie wieder in Geist; nimm die Freude und mache Leid daraus; bestrafe die Unschuld, wohnt sie auch in den Lücken des Atoms; mißtraue dem Augenblick, denn er ist ein Dieb, der auf Zehenspitzen mit mehr, als er bringt, davonschleicht; stelle alle Fragen in Frage; ziehe alle Zweifel in Zweifel; verachte alle Regeln, deren Maß der Mensch ist; gedenke meiner.
Ich pflege mich konservativ zu kleiden. Schwarz, grau, braun rücken den Träger ins Licht. Zwar binde ich sorgfältig den Knoten meiner Krawatte, unterlasse es jedoch, meine Schuhe zu putzen.
Ich glaube, mein Penis ist von durchschnittlicher Größe. Zu diesem Glauben bin ich nicht ohne Mühe gelangt.
Meine Verdauung ist widernatürlich gut, und meine anderen inneren Organe funktionieren so reibungslos wie Untergrundzellen-Versammlungen in einem Land ohne Regierung. Eine halb durchsichtige Warze an meiner rechten Hinterbacke sollte ich mir eines Tages entfernen lassen, und in manchen Nächten plagen mich im linken Arm unmittelbar unter der Schulter neuralgische Schmerzen – ich führe sie auf eine leichte Knochenverletzung zurück, die ich mir bei einem Rugbygerangel in der High-School zuzog. Mein Blinddarm ist noch nicht entfernt worden. Ich empfinde ihn und mein Herz als Zeitbomben.
Ich liebe mich und hasse mich mehr als andere Menschen. Beides Exzesse, von denen einer Frauen anzieht, aber welcher?
Meine Stimme ist im Grunde eine halbe Oktave zu hoch für das geistliche Amt, doch habe ich beim Gebetsprechen eine Methode entwickelt, in das Mikrophon am Chorpult zu murmeln, die meinem stark ausgeprägten Sinn für das monologisierende Ich entgegenkommt. Mein leichtes Stottern, sagt man mir, halte die Gemeinde vom Einnicken ab.
Was noch? Ich habe Schmerzen in den Handgelenken.
Der Staat, in dem ich mich aufhalte, ist groß und viereckig, und pro Quadratmeile gibt es hier einen asthmatischen Flüchtling und drei betrunkene Indianer in einem Ford-Transporter. Der Staat, in dem ich bis vor kurzem lebte und wo ich in meiner Distraktion meine Pflichten versäumte und meine störrischen Anfälle erlitt, ist von sich dahinschlängelnden Flüssen zernagt und durch das Hin und Her einander widerstreitender Territorialansprüche verunstaltet, und seine undefinierbare Gestalt wird durch Seen und Inseln und die Verstädterung weiterer Landstriche noch amorpher. Ein Schlüssel, sagt Chesterton irgendwo, hat von der Form her keine Logik; seine einzige Logik besteht darin, daß er das Schloß öffnet.
O Herr, wie entleert diese Tätigkeit den inneren Menschen! Dem Himmel sei Dank für die Mittagszeit.
2
Ms. Prynne (ich fragte sie, wagte es, ihren hastigen Gang durch die dumpfe Stille eines verlassenen,
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