Der Sportwettkampf von Schreckenstein
mußte in dem kleinen Vorraum mit Bar warten. Über eine Stunde mitunter.
Außer dem feinen Restaurant gab es noch zwei Nebenzimmer. Hier wurde sogenannte Hausmannskost verabreicht, auch sie überdurchschnittlich schmackhaft. Berufstätige aus der näheren Umgebung, Fernfahrer, Geschäftsreisende ließen es sich an blanken Tischen schmecken. Hier fanden an den Abenden auch Versammlungen statt: vom Fußballclub, vom Kegelverein, von der Feuerwehr.
Im kleineren der beiden Räume hatte sich ein Stammpublikum eingenistet – die großen Castellaner , die hier ihr Bier tranken, mehrere Biere zumeist, und Zigaretten qualmten. Es ging immer hoch her und entsprechend laut. Während der Woche bis zehn Uhr, an den Wochenenden länger. Manchmal kamen die Castellaner schon nachmittags und blockierten die Kegelbahn.
Der begehrteste Tisch im feinen Restaurant, der im Herrgottswinkel mit Fenstern nach zwei Seiten, war für diesen Samstagmittag reserviert. Hier speiste der Leiter des Collegium Castellum mit seinen Gästen, dem Rex, Fräulein Doktor Horn, Sonja und Rolle.
Die Mienen der fünf paßten nicht zu den Genießergesichtern an den anderen Tischen. Ohne Anzeichen von Gaumenlust kauten die Lehrkräfte vor sich hin. Und was sie einander dabei zu sagen hatten, stimmte sie auch nicht heiterer. Lediglich der Herr mit der dicken Hornbrille zeigte manchmal ein leichtes Lächeln, das jedoch gleich wieder verschwand.
Wie Sonja ihren Ritterfreunden später berichtete, ging es weder um die skandalösen Schiedsrichterentscheidungen bei den Staffeln noch um Sandros Zusammenbruch. Hummel hatte seinen Kollegen, nach Rücksprache mit dem Arzt, mitgeteilt, der Junge leide, laut erster Diagnose, unter einer Vergiftung. Woher diese rühre, wisse man noch nicht. Im übrigen habe man sich beim Essen mit der „Freiheit“ beschäftigt. Jener Freiheit, die Lehrer ihren Zöglingen in Internaten einräumen sollten.
An diesem heiklen Thema sei eigentlich sie schuld gewesen, bekannte Sonja weiter. Ihre Frage in der Schwimmhalle, ob es Hummel auch als Angelegenheit der Schüler betrachte und sich nicht einmische, wenn beispielsweise einer Drogen nähme, hatte dem Castellaner Schulleiter schwer zugesetzt.
Ohne auf den Fall Sandro näher einzugehen – man kenne, wie gesagt, die genaue Ursache noch nicht –, versuchte er seine Gäste bei Tisch zu beschwichtigen. Er bat sie, die Sache doch vorerst für sich zu behalten. Im Ministerium gebe es sonst nur unnötige Aufregung, an deren Folgen der ganze Modellversuch scheitern könne. Und damit sei ja niemand gedient.
Auf Schreckenstein und in Rosenfels praktiziere man ja auch jene Freiheit, die sich Schülerselbstverwaltung nennt. Da komme bestimmt mal dies oder das vor, was nicht gleich an die große Glocke gehöre, was man vielmehr intern regle…
Mit dieser Taktik versuchte er – nicht ungeschickt – einen Keil zwischen den Rex und Fräulein Doktor Horn zu treiben, von der er wußte, daß sie weiß Gott nicht mit allem auf der Burg einverstanden war.
FDH habe ihn jedoch durchschaut und ihre Kritik auf die Freiheiten im Castellum beschränkt, die entschieden zu weit gehen würden, nämlich bis zur Unsportlichkeit und Unfairneß , wenn nicht weiter – die endgültige Diagnose liege ja noch nicht vor.
Das Wort Drogen fiel kein einziges Mal, obwohl eigentlich nur darüber geredet wurde.
Selbstverständlich habe auch der Rex gemerkt, wohin der Hase laufen sollte. Ihm sei hier klargeworden, sagte er, daß sich die Freiheiten auf der Burg wie auf Rosenfels im Rahmen hielten. Beide Mannschaften hätten sich mit ihrer Moral, mit ihrem Kampfgeist und überhaupt so vorbildlich verhalten, daß es ihm nur recht wäre, wenn man im Ministerium davon erführe.
Hier mußte FDH zustimmen, ob sie wollte oder nicht. Und sie habe zugestimmt.
Im Klartext hieß das: Wenn du, Hummel, unsere Schule lobst, halten wir über deine den Mund. Die Absicht des Rex war folgende: Mit einem Lob vom hochgeschätzten Leiter der Modellschule, bestätigt von Fräulein Doktor Horn, hoffte er die Verantwortlichen im Ministerium zu beeindrucken, ihr Wohlwollen anzuregen, Schreckenstein weitere Rechte zuzugestehen. Vielleicht sogar eigenes Abitur…
Sonja schloß ihren Bericht mit den Worten: „Er hat für euch gekämpft wie ein Löwe!“
Von alldem wußten die Betroffenen nach dem Mittagessen noch nichts. Lustlos lagen Ritter und Hühner im Gymnastiksaal auf ihren Luftmatratzen, erholten sich von den Strapazen des Vormittags
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