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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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unsre Straße hinunter, und weil an dem Parkgitter entlang lauter große Röhren gelegt waren, um hier neu zu kanalisieren, so sprang ich auf die Röhren hinauf, und Susan hielt mich an meinem linken Zeigefinger. So gingen wir, ich immer auf den Röhren oben, bis wir an eine Stelle kamen, wo der Park aufhörte. Hier war gerad ein Droschkenstand, und Hafer und Häcksel lagen umher und zahllose Sperlinge dazwischen. In der Mitte von dem allem aber stand ein eiserner Brunnen. Auf den wies Susan hin und sagte: ›Look at it, dear Armgard. There stood Tyburn-Gallows.‹ Und wer so viel gestohlen hatte, wie gerad ein Strick kostete, der wurde da gehängt.«
    »Eine merkwürdige Kindermuhme«, sagte Stechlin. »Und erschraken Sie nicht, Komtesse?«
    »Nein, von Erschrecken, solange Susan bei mir war, war keine Rede. Sie hätte mich gegen eine Welt verteidigt.«
    »Das söhnt wieder aus.«
    »Und kurz und gut, wir blieben auf unserm Weg und stiegen alsbald in ein zweirädriges Cab, aus dem heraus wir sehr gut sehen konnten, und jagten die Oxfordstraße hinunter in die City hinein, in ein immer dichter werdendes Straßengewirr, drin ich nie vorher gekommen war und auch nachher nicht wieder gekommen bin. Bloß vor zwei Jahren, als wir auf Besuch drüben waren und ich den alten Plätzen wieder nachging.«
    »Ich glaube«, sagte Melusine, »daß du bei diesem zweiten Besuch eine gute Anleihe machst. Denn von dem mit Susan Gesehenen wirst du zur Zeit nicht mehr viel zur Verfügung haben.«
    »Doch, doch. Und nun hielt unser Hansom-Cab vor einem großen Hause, das halb wie ein Palast und halb wie ein griechischer Tempel aussah und unter dessen Säulengang hinweg wir in eine große, mit vielen hundert Menschen erfüllte Halle traten. Über ihren Köpfen aber lag es wie ein Strom von Licht, und ganz nach hinten zu, wo die Lichtmasse sich zu verdichten schien, standen auf einem Podium zwei in rote Röcke gekleidete Bedienstete mit ein paar großen Behältern links und rechts neben sich, die wie Futterkisten mit weit aufgeklapptem Deckel aussahen.«
    »Und nun laß Stechlin raten, was es war.«
    »Er braucht es nicht zu raten«, fuhr Armgard fort, »er weiß es natürlich schon. Aber er muß trotzdem aushalten. Denn er hat es selber so gewollt. Also Podium und Rotröcke samt aufgeklappter Kiste links und rechts. Und die hell erleuchtete Uhr darüber zeigte, daß es nur noch eine Minute bis sechs war. An ein Sichherandrängen war nicht zu denken, und so flogen denn die Brief- und Zeitungspakete, die noch mit den letzten Postzügen fort sollten, in weitem Bogen über die Köpfe der in Front Stehenden weg, was aber dabei statt in die Behälter bloß auf das Podium fiel, das wurde von den Rotröcken mit einer geschickten Fußbewegung in die Futterkiste wie hineingeharkt. Und nun setzte der Uhrzeiger ein, und das Fliegen der Pakete steigerte sich, bis genau mit dem sechsten Schlag auch der Deckel jeder der beiden Kisten zuschlug.«
    »Reizend, Komtesse. Natürlich seh’ ich mir das an, und wenn ich ein Rendezvous mit der Königin darüber versäumen müßte.«
    »Nichts Antimonarchisches«, lachte der alte Graf. »Und so kommen Susans Untaten schließlich noch ans Licht.«
    »Und meine eignen dazu. Glücklicherweise durch mich selbst.«
    Das Gespräch setzte sich noch eine Weile fort, und allerlei Schilderungen aus dem Klein- und Alltagsleben behielten dabei die Oberhand. Ein paarmal, weil er wohl sah, daß Woldemar gern auch etwas andres zu hören wünschte, versuchte der alte Graf das Thema zu wechseln, aber beide Damen blieben bei »shopping« und »five o’clock tea«, bis Melusine, der Woldemars Ungeduld ebenfalls nicht entgangen war, mit einem Male fragte: »Haben Sie denn je von Traitors-Gate gehört?«
    »Nein«, sagte Woldemar. »Ich kann es mir aber übersetzen und meine Schlüsse daraus ziehn.«
    »Das reicht aus. Also natürlich Tower. Nun sehen Sie, Traitors-Gate, das war meine Domäne, wenn Besuch aus Deutschland kam und ich wohl oder übel den Führer machen mußte. Vieles im Tower langweilte mich, aber Traitors-Gate nie, vielleicht deshalb nicht, weil es ziemlich zu Anfang liegt, so daß ich, wenn wir’s erreichten, immer noch bei Frische war, nicht abgestumpft durch all die Schrecklichkeiten, die dann weiterhin folgen.«
    »Also Traitors-Gate muß ich sehn?«
    »Unbedingt. Freilich, wenn ich dann wieder erwäge, daß an dieser berühmten Stelle nichts unmittelbar Wirkungsvolles zu sehn ist, so muß ich mich bei meinen

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