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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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Ratschlägen auf Ihre Phantasie verlassen können. Und ob das geht, weiß ich nicht. Wer aus der Mark ist, hat meist keine Phantasie.«
    Der alte Graf und Armgard schwiegen, und auch Melusine sah wohl, daß sie mit ihrer Bemerkung etwas zu weit gegangen war. Irgendeine Reparierung schien also geboten. »Ich will’s aber doch mit Ihnen wagen«, nahm sie das Gespräch wieder auf und lachte. »Traitors-Gate. Nun sehen Sie, Sie kommen da vom Eingange her einen schmalen Gang entlang, und mit einem Male haben Sie statt der grauen Steinwand ein eisenbeschlagenes Holztor neben sich. Hinter diesem Tor aber befindet sich ein kleiner, ganz unten in der Tiefe gelegener Wasserhof, von dem aus eine mehrstufige Treppe heraufführt und an eben der Stelle mündet, an der Sie stehn. Und nun rechnen Sie dreihundert Jahre zurück. Wem sich die Pforte damals auftat, um sich hinter ihm wieder zu schließen, der hatte vom Leben Abschied genommen… Es sind da, verzeihen Sie das Wort, lauter glibbrige Stufen, und wer alles stieg diese Stufen hinauf: Essex, Sir Walter Raleigh, Thomas Morus und zuletzt noch jene Clanhäuptlinge, die für Prince Charlie gefochten hatten und deren Köpfe, wenige Tage später, von Temple-Bar herab auf die City niedersahen.«
    »Liegt, Gott sei Dank, weit zurück.«
    »Ja, weit zurück. Aber es kann wiederkommen. Und gerade das war es, was immer, wenn ich da so stand, den größten Eindruck auf mich machte. Diese Möglichkeit, daß es wiederkehre. Denn ich erinnere mich noch sehr wohl - ja, du warst es selbst, Papa, der es mir erzählte -, daß Lord Palmerston einmal, unwirsch über die koburgische Nebenpolitik (ich glaube während der Krimkriegtage) sich dahin geäußert hätte: ›Dieser Prince-Consort, er täte gut, sich unser Traitors-Gate bei Gelegenheit anzusehn. Es ist zwar schon lange, daß Könige da die glibbrige Treppe hinaufgestiegen sind, aber es ist doch noch nicht so lange, daß wir uns dessen nicht mehr entsinnen könnten. Und ein Prince-Consort ist noch lange nicht ein König.‹«
    Woldemar, als Melusine dies mit überlegener Miene gesagt hatte, lächelte vor sich hin, was die Gräfin derartig verdroß, daß sie mit einer gewissen Gereiztheit hinzusetzte: »Sie lächeln. Da seh’ ich doch, wie sehr ich im Rechte war, Ihnen die Phantasie abzusprechen.«
    »Verzeihen Sie mir…«
    »Und nun werden Sie auch noch pathetisch. Das ist die richtige Ergänzung. Im übrigen, wie könnt’ ich mit Ihnen ernsthaft zürnen! Ein berühmter deutscher Professor soll einmal irgendwo gesagt haben: ›niemand sei verpflichtet, ein großer Mann zu sein.‹ Und ebenso wenig wird er ›große Phantasie‹ als etwas Pflichtmäßiges gefordert haben.«
    Woldemar küßte ihr die Hand. »Wissen Sie, Gräfin, daß Sie doch eigentlich recht hochmütig sind?«
    »Vielleicht. Aber mancher entwaffnet mich wieder. Und zu diesen gehören Sie.«
    »Das ist nun auch wieder aus dem Ton.«
    »Ich weiß es nicht. Aber lassen wir’s. Und versprechen Sie mir lieber, mir von Windsor oder London aus eine Karte zu schreiben… nein, eine Karte, das geht nicht… also einen Brief, darin Sie mir ein Wort über die Engländerinnen sagen, und ob Sie jede taillenlose Rotblondine drüben auch so schön gefunden haben werden, wie’s von den Kontinentalen, wenn sie dies Thema berühren, fast immer versichert wird.«
    »Es wird davon abhängen, an wen ich gerade denke.«
    »Nach dieser Bemerkung ist Ihnen alles verziehn.«
    Woldemar blieb bis neun. Er hatte gleich in den Zeilen, in denen er sich anmeldete, die Damen wissen lassen, daß er seinen Besuch auf eine kurze Stunde beschränken müsse. So war er denn bei guter Zeit wieder daheim. Auf seinem Tische fand er ein Briefchen vor und erkannte Rex’ Handschrift. »Lieber Stechlin«, so schrieb dieser, »ich höre eben, daß Sie nach London gehn. In der Zeitung, wo’s schon gestanden haben soll, hab’ ich es übersehn. Ich beglückwünsche Sie von Herzen zu dieser Auszeichnung und lege Ihnen eine Karte bei, die Sie (wenn’s Ihnen paßt) bei meinem Freunde Ralph Waddington einführen soll. Er ist Advokat und einer der angesehensten Führer unter den Irvingianern. Fürchten Sie übrigens keine Bekehrungsversuche. Waddington ist ein durchaus feiner Mann, also zurückhaltend. Er kann Ihnen aber mannigfach behilflich sein, wenn Ihnen daran gelegen sein sollte, sich um das Wesen der englischen Dissenter, ihre Chapels und Tabernakels zu kümmern. Er ist ein Wissenschaftler auf diesem Gebiet.

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