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Der Stechlin.

Der Stechlin.

Titel: Der Stechlin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane , Helmuth Nürnberger
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Familie - werden gerade wegen der Trauer, in der wir stehn, in deinem Erscheinen eine besondere Freundlichkeit sehn. Und das ist genau das, was ich wünsche. Denn die Komtesse wird über kurz oder lang unsre nächste Nachbarin sein.« Aber Katzler war fest geblieben und hatte betont, daß es Höheres gäbe als Gesellschaftlichkeiten und daß er durchaus wünsche, daß dies gezeigt werde. Der Prinzessin Auge hatte während dieser Worte hoheitsvoll auf Katzler geruht, mit einem Ausdruck, der sagen zu wollen schien: »Ich weiß, daß ich meine Hand keinem Unwürdigen gereicht habe.«
    Katzler also fehlte. Doch auch Koseleger, trotz seiner Zusage, war noch nicht da, so daß Dubslav in die sonderbare Lage kam, sich den Quaden-Hennersdorfer, aus dem er sich eigentlich nichts machte, herbeizuwünschen. Endlich aber fuhr Koseleger vor, sein etwas verspätetes Kommen mit Dienstlichkeiten entschuldigend. Unmittelbar danach ging man zu Tisch, und ein Gespräch leitete sich ein. Zunächst wurde von der Nordbahn gesprochen, die, seit der neuen Kopenhagener Linie, den ihr von früher her anhaftenden Schreckensnamen siegreich überwunden habe. Jetzt heiße sie die »Apfelsinenbahn«, was doch kaum noch übertroffen werden könne. Dann lenkte man auf den alten Grafen und seine Besitzungen im Graubündischen über, endlich aber auf den langen Aufenthalt der Familie drüben in England, wo beide Töchter geboren seien.
    Dies Gespräch war noch lange nicht erledigt, als man sich von Tisch erhob, und so kam es, daß sich das Plaudern über ebendasselbe Thema beim Kaffee, der im Gartensalon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin herum eingenommen wurde, fortsetzte. Dubslav sprach sein Bedauern aus, daß ihn in seiner Jugend der Dienst und später die Verhältnisse daran gehindert hätten, England kennen zu lernen; es sei nun doch mal das vorbildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebenso gut verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte lebhaft zu, während andrerseits die Domina ziemlich deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr kein erfreuliches Gesprächsthema, was selbstverständlich ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.
    »Ich möchte mich«, fuhr Dubslav fort, »in dieser Angelegenheit an unsern Herrn Superintendenten wenden dürfen. Waren Sie drüben?«
    »Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, sehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt’ es so leicht haben können. Aber es ist immer wieder die alte Geschichte: was man in ein paar Stunden und mitunter in ein paar Minuten erreichen kann, das verschiebt man, eben weil es so nah ist, und mit einemmal ist es zu spät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam. Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das könnt’ ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das viel zitierte Wort von dem ›in einem Tag mehr gewinnen als in des Jahres Einerlei‹ hineinpaßt, so da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, eingewurzelt, stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgendein andres Land ist es ein Produkt der Zivilisation, so sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte.«
    Die Domina fühlte sich von allem mehr und mehr unangenehm berührt, besonders als sie sah, daß Melusine zu dem, was Koseleger ausführte, beständig zustimmend nickte. Schließlich wurd’ es ihr zu viel. »Alles, was ich da so höre«, sagte sie, »kann mich für dieses Volk nicht einnehmen, und weil sie rundum von Wasser umgeben sind, ist alles so kalt und feucht, und die Frauen, bis in die höchsten Stände hinauf, sind beinah immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei Namen nennen mag. So wenigstens hat man mir erzählt. Und wenn es dann neblig ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind. Denn, wie mir unser Rentmeister Fix, der drüben war, aufs Wort versichert hat, sie stehen in keinem Buch und haben auch nicht einmal das, was wir Einwohnermeldeamt nennen, so daß man beinah sagen kann, sie sind so gut wie gar nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles fast noch blutig, besonders das, was wir hier ›englische Beefsteaks‹ nennen. Und kann auch nicht anders sein, weil sie so viel mit Wilden umgehn

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