Der Stechlin.
Botschaftsrat, und das klingt ein bißchen nach was; aber eigentlich ist er doch auch bloß ein unexaminierter Naturmensch, und das gerade gibt ihm seinen Charme. Beiläufig, finden Sie nicht auch, daß er dem alten Stechlin ähnlich sieht?«
»Ja, äußerlich.«
»Auch innerlich. Natürlich ‘ne andre Nummer, aber doch derselbe Zwirn - Pardon für den etwas abgehaspelten Berolinismus. Und wenn Sie vielleicht an Politik gedacht haben, auch da ist wenig Unterschied. Der alte Graf ist lange nicht so liberal, und der alte Dubslav lange nicht so junkerlich, wie’s aussieht. Dieser Barby, dessen Familie, glaub’ ich, vordem zu den Reichsunmittelbaren gehörte, dem steckt noch so was von ›Gottesgnadenschaft‹ in den Knochen, und das gibt dann die bekannte Sorte von Vornehmheit, die sich den Liberalismus glaubt gönnen zu können. Und der alte Dubslav, nun, der hat dafür das im Leibe, was die richtigen Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie. Wenn sie gereizt werden, bekennen sie sich selber dazu.«
»Sie verkennen das, Czako. Das alles ist ja bloß Spielerei.«
»Ja, was heißt Spielerei? Spielen. Wir haben schöne alte Fibelverse, die vor der Gefährlichkeit des Mit-dem-Feuer-Spielens warnen. Aber lassen wir Dubslav und den alten Barby. Wichtiger sind doch zuletzt immer die Damen, die Gräfin und die Komtesse. Welche wird es? Ich glaube, wir haben schon mal darüber gesprochen, damals, als wir von Kloster Wutz her über den Cremmer Damm ritten. Viel Vertrauen zu Freund Woldemars richtigem Frauenverständnis hab’ ich eigentlich nicht, aber ich sage trotzdem: Melusine.«
»Und ich sage: Armgard. Und Sie sagen es im stillen auch.«
Es war zwei Tage vor Woldemars Rückkehr aus Ostpreußen, daß Rex und Czako dies Tiergartengespräch führten. Eine halbe Stunde später fuhren sie, wie verabredet, vom Bellevuebahnhof aus wieder in die Stadt zurück. Überall war noch ein reges Leben und Treiben, und Leben war denn auch in dem aus bloß drei Zimmern verschiedener Größe sich zusammensetzenden Kasino der Gardedragoner. In dem zunächst am Flur gelegenen großen Speisesaale, von dessen Wänden die früheren Kommandeure des Regiments, Prinzen und Nichtprinzen, herniederblickten, sah man nur wenig Gäste. Daneben aber lag ein Eckzimmer; das mehr Insassen und mehr flotte Bewegung hatte. Hier über dem schräggestellten Kamin, drin ein kleines Feuer flackerte, hing seit kurzem das Bildnis des »hohen Chefs« des Regiments, der Königin von England, und in der Nähe eben dieses Bildes ein ruhmreiches Erinnerungsstück aus dem Sechsundsechziger und Siebziger Kriege: die Trompete, darauf derselbe Mann, Stabstrompeter Wollhaupt, erst am 3. Juli auf der Höhe von Lipa und dann am 16. August bei Mars-la-Tour das Regiment zur Attacke gerufen hatte, bis er an der Seite seines Obersten fiel; der Oberst mit ihm.
Dies Eckzimmer war, wie gewöhnlich, auch heute der bevorzugte kleine Raum, drin sich jüngere und ältere Offiziere zu Spiel und Plauderei zusammengefunden hatten, unter ihnen die Herren von Wolfshagen, von Herbstfelde, von Wohlgemuth, von Grumbach, von Raspe.
»Weiß der Himmel«, sagte Raspe, »wir kommen aus den Abordnungen auch gar nicht mehr heraus. Wir haben freilich drei Sendens im Regiment, aber es sind der Sendbotschaften doch fast zu viel. Und diesmal nun auch unser Stechlin dabei. Was wird er sagen, wenn er oben in Ostpreußen von der ihm zugedachten Ehre hört. Er wird vielleicht sehr gemischte Gefühle haben. Übermorgen ist er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich bei dem scheußlichen Wetter schlecht ajustiert, und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach London. Und London ginge noch. Aber auch nach Windsor. Alles, wenn es sich um Chic handelt, will doch seine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben sehen einem sehr auf die Finger.«
»Laß sie sehn«, sagte Herbstfelde. »Wir sehen auch. Und Stechlin ist nicht der Mann, sich über derlei Dinge graue Haare wachsen zu lassen. Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. Es ist doch immerhin was, daß er da mit nach England hinüber soll, und einer solchen Auszeichnung entspricht selbstverständlich eine Nichtauszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unserm Stechlin mache, gehört er zu diesen. Er ficht nicht gern unter der Devise ›nur über Leichen‹, hat vielmehr umgekehrt den Zug, sich in die zweite Linie zu stellen. Und nun sieht es aus, als wär’ er ein Streber.«
»Stimmt nicht«, sagte
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