Der Stein der Könige 1 - Quell der Finsternis
Blick zu, als der Mann und das Kind das Tor passierten. Der Junge reckte den Hals nach dem riesigen Fallgitter mit seinen Reihen grimmiger Zähne. Er wäre gerne stehen geblieben und hoffte, Blutspuren zu entdecken, denn er kannte die Geschichte von Nathan von Neyshabur gut, diesem Helden von Vinnengael, der befohlen hatte, das Fallgitter herunterzulassen, obwohl er selbst noch darunter stand, gegen die Feinde des Königreiches kämpfte und sich weigerte zurückzuweichen, auch wenn diese bösartigen Stahlstacheln auf ihn zuschossen. Nathan von Neyshabur hatte vor mehreren hundert Jahren gelebt, als Stadt und Schloss noch jung gewesen waren, aber nicht die Regenbögen. Es war daher unwahrscheinlich, dass sein Blut noch vom Fallgitter tröpfelte, aber der Junge war dennoch enttäuscht.
Der Vater des Jungen riss am Umhang seines Sohnes und fragte ihn barsch, wieso er glotzte wie ein Ork bei einem Fest, und dann scheuchte er den Jungen weiter.
Sie überquerten den riesigen Hof und betraten das eigentliche Schloss, wo sich der Junge sofort verirrt hätte. Sein Vater kannte den Weg allerdings gut, denn er gehörte zum Gefolge des Königs, und nun führte er den Knaben Marmortreppen hinauf, Marmorflure entlang, bis sie ein Vorzimmer erreichten, wo der Vater den Sohn auf einen geschnitzten Stuhl drückte und einen Diener auf einen Botengang schickte.
Die kurze Wartezeit verbrachte der Junge damit, an die hohe Decke zu schauen, die von den Feuern in den offenen Kaminen Rußflecken hatte, und sich an der gegenüberliegenden Wand einen Wandteppich anzusehen, der Hunde mit lang gezogenen Körpern, lang gezogenen Schnauzen und langen Ohren darstellte, die keiner Hunderasse ähnelten, die er je gesehen hatte, und Menschen, die sich alle seitwärts gedreht hatten und einen Hirsch jagten, der – seiner Miene nach zu schließen – das alles gewaltig genoss, obwohl sechs Pfeile in ihm steckten.
Der Mann betrat das Vorzimmer – ein eher jüngerer, misslaunig und grimmig dreinschauender Mann mit einem Überrock, der vorne geknöpft war, ein üppiges Muster aufwies, einen hohen Kragen und lange, fließende Ärmel hatte. Die von der Wade abwärts zu sehenden Beine dieses Mannes waren dick und kräftig, seine Knöchel beinahe so breit wie die Füße. Seine Strumpfhose war zweifarbig, ein Bein rot, das andere blau, passend zu dem rotblauen Überrock. Sein mattbraunes Haar war, der derzeitigen Mode bei den Menschen entsprechend, zurückgekämmt und im Nacken lockig; er war glatt rasiert.
Der Vater des Jungen trug ähnliche Kleidung, ergänzt von einem Mantel, und seine Farben waren Grün und Blau. Der Junge war ähnlich gekleidet wie sein Vater, aber sein Umhang und die Kapuze bedeckten die bunten Farben weitgehend, denn es war schon Spätherbst und ziemlich kühl. Der Mann sprach kurz mit dem Vater des Jungen, dann wandte er sich dem Kind zu.
»Wie, sagtet Ihr, war sein Name?«
»Gareth, Lord Kämmerer.«
Der Kämmerer schnaubte. »Ich weiß nicht, ob ich je ein hässlicheres Kind gesehen habe.«
»Im Vergleich mit Seiner Hoheit würde jedes Kind hässlich wirken«, erwiderte der Vater.
»Das stimmt, Herr«, bestätigte der Kämmerer. »Aber dieser hier scheint sich besonders angestrengt zu haben.«
»Seine Hoheit und mein Sohn sind auf den Tag genau gleich alt, sie kamen in derselben Nacht zur Welt. Seine Majestät wünschte…«
»Ja, ja, die Wünsche Seiner Majestät sind mir vertraut«, sagte der Kämmerer, verdrehte die Augen und schob die Daumen unter seinen breiten Ledergürtel, um anzudeuten, dass er die Wünsche Seiner Majestät für baren Unsinn hielt. Missbilligend betrachtete er den Jungen. »Nun, dagegen kann man wohl nichts tun. Als ob ich nicht schon genug Ärger hätte! Wo sind seine anderen Kleider? Ihr erwartet doch nicht von uns, dass wir ihn einkleiden?«
»Mein Diener bringt sie zum Hintereingang«, erklärte der Vater des Jungen mit einer gewissen Kühle. »Ihr erwartet doch nicht, dass wir sie auf einer Karre hier hereinschieben?«
Die beiden Männer bedachten einander mit eisigen Blicken, dann stellte der Kämmerer einen spitzen Schuh vor den anderen und verbeugte sich aus der Taille. »Euer ergebenster Diener.«
Auch der Vater des Jungen vollzog diese Geste, raffte aber dabei seinen Umhang, damit der Stoff den Boden nicht berührte und schmutzig wurde.
»Euer
ergebenster Diener.«
Der Junge trug immer noch Umhang und Kapuze, ihm war warm, es juckte ihn überall, und er starrte den Hirsch mit den
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