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Der Sternenschwarm

Der Sternenschwarm

Titel: Der Sternenschwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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die militärische Erziehung beginnen, die dem Stand seiner Familie entsprach. Der Exerzierplatz war ihm von frühester Jugend an vertraut. Alle Frauen, die ihn in den ersten Lebensjahren versorgten, waren streng und hart. Er wußte genau, daß er eines Tages sehr erfolgreich sein würde.
    Er war ein bestimmter Oberst, dessen Unterkunft in diesem Kriegsjahr tief unter der Erde lag. In der Kantine feierte die Spezialabteilung. Der Raum war überfüllt; Soldaten und die eingeladenen Frauen saßen an langen Tischen, die sich vor Essen und Trinken bogen. Trotz der spartanischen Ausstattung der Kantine herrschte Feststimmung – die etwas hektische Stimmung von Männern, die nach dem alten Motto lebten: Eßt, trinkt und seid fröhlich, denn morgen müssen wir sterben.
    Der Oberst aß und trank, ohne fröhlich zu sein. Obwohl er sich freute, daß seine Männer in guter Stimmung waren, hatte er keinen Teil an ihrer Fröhlichkeit. Er wußte noch, was sie bereits vergessen hatten – die Sirene konnte jederzeit aufheulen. Und dann würden sie abmarschieren, ihr Gerät empfangen und nach oben fahren, um dort zu bekämpfen, was zu bekämpfen war.
    Das alles war Beruf und Lebensinhalt des Obersten. Er hatte nichts dagegen, er fürchtete sich keineswegs davor; er hatte nur eine Art Lampenfieber.
    Die Gesichter um ihn herum waren undeutlich verschwommen. Jetzt betrachtete er sie aufmerksamer und fragte sich ohne sonderliches Interesse, wie viele und welche Männer ihn begleiten würden. Er beobachtete auch die Frauen.
    Im Verlauf des Krieges hatte sich das Militär unter die Erde zurückgezogen. Das Leben war dort hart, aber einigermaßen erträglich, weil synthetische Nahrungsmittel und Getränke reichlich zur Verfügung standen. Nach zehn Jahren Krieg schmeckt Plankton-Whisky ebenso gut wie der beste Skotch – wenn nur noch die Nachahmung erhältlich ist. Aber die Frauen waren nicht synthetisch. Sie waren aus den zerstörten Städten der Erde in die verhältnismäßig sicheren unterirdischen Garnisonen geflüchtet. Dabei hatten die meisten von ihnen das Leben mit dem Verlust ihrer Menschlichkeit bezahlt. Nun stritten sie sich lärmend um ihre Männer, ohne eigentlich darauf zu achten, was sie errangen.
    Der Oberst beobachtete sie mitleidig und verächtlich zugleich. Wie der Krieg auch ausgehen mochte – die Frauen hatten ihn bereits verloren.
    Dann sah er ein Gesicht, das weder lachte noch kreischte.
    Es gehörte einer jungen Frau, die ihm fast genau gegenüber am Tisch saß. Sie hörte sich geduldig das Geschwätz eines rotgesichtigen Unteroffiziers an, dessen Arm schwer auf ihrer Schulter lag, während er undeutlich lallend auf sie einsprach. Mary, dachte der Oberst; sie mußte einen schlichten Namen haben – zum Beispiel Mary.
    Ihr Gesicht wirkte fast durchschnittlich, war jedoch im Gegensatz zu den Gesichtern der anderen Frauen nicht von Lastern und Ausschweifungen gezeichnet. Ihre Haare waren hellbraun, die großen Augen blaugrau; das Gesicht war schmal, aber die Lippen waren trotzdem voll.
    Mary hob den Kopf und sah, daß der Oberst sie anstarrte. Sie erwiderte lächelnd seinen Blick.
    Enthüllungen im Leben eines Menschen kommen stets unerwartet. Bisher war der Oberst ein gewöhnlicher Soldat gewesen; als Mary lächelte, ging eine Verwandlung in ihm vor. Er sah sich plötzlich wie in einem Spiegel – ein alter Mann unter dreißig, der sein Privatleben einer Militärkarriere geopfert hatte. Dieses traurige, schöne, gewöhnliche Gesicht drückte alles aus, was er bisher nie gekannt hatte: die schöneren Seiten des Lebens, die sich nur einem Mann und einer Frau auftun, die einander lieben.
    Aber das Gesicht sagte ihm auch mehr. Es sagte ihm, daß es selbst jetzt noch nicht zu spät für ihn sei. Das Gesicht war Versprechen und Tadel zugleich.
    Das alles und noch mehr beschäftigte den Oberst und war in seinen Augen zu lesen. Mary schien seinen Ausdruck richtig zu deuten.
    »Kannst du ihn nicht einfach sitzenlassen?« bat der Oberst.
    Mary sah den Soldaten nicht an, dessen Arm auf ihren Schultern lag, als sie irgend etwas antwortete. Ihre Antwort ging in dem allgemeinen Lärm unter. Der Oberst rief ihr zu, sie möge den Satz wiederholen.
    In diesem Augenblick ertönte die Sirene.
    Der Lärm verdoppelte sich. Militärpolizei strömte in die Kantine, jagte die Betrunkenen mit Schlägen und Tritten hoch und trieb sie hinaus.
    Der Oberst stand auf. Er beugte sich über den Tisch, berührte Marys Hand und sagte: »Ich muß

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