Der stille Ozean
fragte er, was Ascher zum Frühstück wünsche. Er ging in die Küche und kam mit einer Schale Kaffee zurück, die er vor ihn hinstellte. Ascher hatte inzwischen die Zeitungen durchgeblättert, und der Wirt machte ihn auf ein Bild aufmerksam, auf dem er unter den Neugierigen zu sehen war. »Ich war bald, nachdem es geschehen war, dort«, erläuterte er. Er fing wieder an, über Lüscher zu reden, wobei er zwischendurch fragte: »Ich darf doch Platz nehmen?« und sich setzte. Lüscher habe in Jugoslawien behauptet, führte er aus, er habe seine Opfer nur erschrecken wollen. Vor Aufregung habe er so stark gezittert, daß sich der Schuß gelöst habe, ohne daß er es beabsichtigt hätte. Außerdem sei er betrunken gewesen. Seine Frau aber, wandte der Wirt ein, hätte angegeben, daß er nur einen Schluck Most in der Früh getrunken habe, also lüge er. Natürlich versuche er, sich herauszureden.
Er sei für die Todesstrafe, obwohl er Lüscher kenne. »Wenn jemand so etwas macht, gehört er weg«, sagte er. Nach dem Frühstück telefonierte Ascher mit seiner Frau, auch sie las ihm, was ihr wichtig schien, aus der Zeitung vor. »Gibst du auf dich acht?« fragte sie. Ascher antwortete, es gehe ihm gut, sie brauche sich nicht um ihn zu sorgen. Dann verabschiedete er sich und bezahlte beim Wirt das Gespräch.
Es war wieder ein sonniger, klarer Tag. Eine Frau ging mit einem Korb auf dem Kopf an ihm vorüber, darin lagen in braunes Papier eingewickelte Pakete. Langsam stieg er die Treppen hinunter. In den Gehöften standen Menschen, es war wie sonst. Hinter dem Gasthaus sah er den Fischteich, graues Eis bedeckte ihn, darauf war der Schnee zu tausenden winzigen Inseln zusammengefroren, die das Eis wie Blumentupfen übersäten. Alles lag in einem hellen Licht. Ascher empfand Vergnügen, wenn er die kalte Winterluft einatmete, er spazierte ein Stück zwischen Äckern, auf denen der Schnee braun geworden war oder die Erde schwarz dalag. Am Ende des langen Ackers machte er kehrt und ging auf einer von Schneeflecken bedeckten Wiese in den Ort zurück. Er war nicht lange unterwegs gewesen, aber es hatte ihm wohl getan. An der Tankstelle unterhielt sich die Familie, die vor Lüscher geflohen war, mit einem Gendarmen. Der Mann war mittelgroß, hatte glattes, pomadisiertes, dunkles Haar und eine dicke Nase. In einer Hand hielt er die Handschuhe, die andere hatte er in den Mantelsack gesteckt. Ascher erkannte ihn aus der Zeitung. Das brachte ihn auf den Einfall, sich Lüschers Haus anzusehen. Zuerst kam er am Reitklub vorbei.
Er wirkte gegenüber dem Vortag, an dem er voller Gendarmen gewesen war, verändert: Größer schien er und von einer würdevollen Ruhe. Er näherte sich dem Hof, jetzt waren die Balken geöffnet. Im Hof sah er die beiden Journalisten mit zwei Arbeitern vor einem der Wirtschaftsgebäude stehen, sie fragten sie aus und machten Notizen. In den Zweigen eines Baumes hatte sich ein Luftballon mit einer langen Schnur verfangen, er war schlaff, wahrscheinlich hing er schon lange dort. Ansonsten hatte Ascher den Eindruck von Ordnung. Er kam an den Journalisten vorbei und hörte einen Arbeiter sagen, daß er am Abend Gendarmerieschutz verlangt habe, weil er es nicht gewagt hätte, die Pferde allein zu versorgen. Er hätte befürchtet, Lüscher kehrte zurück, um sich auch an der Frau zu rächen, möglicherweise aber hätte er auch an ihm Rache nehmen können, obwohl er mit der Angelegenheit nichts zu tun gehabt hätte. »Die Geschäfte sind uns nichts angegangen«, sagte der andere. Beide waren kräftig und jung, trugen Mützen und Arbeitsanzüge und machten einen widerborstigen Eindruck. Sie schienen unzufrieden mit der Polizei, der Dienststelle und verärgert auf Lüscher.
»In meinen Augen muß jemand verrückt sein, der so etwas macht«, sagte der erste. Ascher war stehen geblieben und hörte ihnen zu.
Auf die Frage eines Journalisten, wie gut sie Lüscher gekannt hätten, sagte der andere Arbeiter, Lüscher sei mit Herbst lange befreundet gewesen. Jeden Sonntag sei er auf ein Viertel Wein zu ihm gekommen. »Dabei hat er seinem Sohn immer einen Schilling geschenkt. Aber er hat nicht eingesehen, daß man im Leben auch Ungerechtigkeiten einstecken muß.«
Andererseits, ergänzte der andere Arbeiter, sei er ein fleißiger Landwirt gewesen, habe sich bei der Feuerwehr hervorgetan und sei fast nie in ein Wirtshaus gegangen. Wirtschaftliche Schwierigkeiten habe er keine gehabt. Auch zu Hause, was seine Familie betreffe,
Weitere Kostenlose Bücher