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Der stille Schrei

Der stille Schrei

Titel: Der stille Schrei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Specht
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langweilig. Alles war gesagt, der Kaffee war getrunken, die Croissants waren gegessen. Die Stille lastete wie ein schwüles Gewitter auf uns. Ich spürte, wie sich auf meiner Stirn leichte Schweißperlen bildeten.
    Dann schaute ich ihm direkt in die Augen. Ich konnte nur ein Wort sagen.
    „Tim.“
    Sein Begehren war so sehr zu spüren, als ob er mich mit Händen greifen würde. Ein Schauder lief über meine Haut. Zwischen ihm und mir stand eine Feuersäule. Ich musste den Atem anhalten, weil ich dieses Gefühl nicht kannte und nicht einordnen konnte. Was war das?
    Er schloss kurz die Augen und wurde wieder mein Personal Trainer.
    „Du wirst es schaffen. Ich weiß es.“
    „Und du wartest im Ziel auf mich?“
    „Ja, ich warte“, sagte er doppeldeutig.

SONNTAG
    Wider Erwarten hatte ich bestens geschlafen.   Offensichtlich keine Aufregung wegen des Rennens gespürt, und auch die Rippen hatten die Nacht über stillgehalten und mich nicht geweckt.
    Das besondere Läuferfrühstück führte mir noch einmal sehr viele Kohlehydrate zu. Die in großen Mengen gestern Abend gefutterten Spaghetti mit einer ganz leichten, naturbelassenen Tomatensauce waren im Blutkreislauf angekommen. Ich fühlte mich richtig gut: körperlich und mental. Einen kleinen Fehler hatte ich dennoch begangen. Ich sah ihn sofort, als ich den Roadster startete. Der Tank war ziemlich leer. Zwar würde ich nach dem Termin mit Dr. Kirchhübel den Zug nach Frankfurt nehmen. Gleichwohl war der Tank so leer, dass ich in Bad Orb an der Aral-Tankstelle besser doch noch tanken sollte.
    Christof begrüßte mich so herzlich wie immer. „Na, Frau Röder? Heute ist Ihr Tag!“
    Er wusste von meinem bevorstehenden Marathon-Lauf, wie viele andere auch. Aber er war eben ein besonderer Mensch und kümmerte sich um seine Kunden mit Herzblut. Wann immer man bei ihm vorbeikam: Er hatte stets beste Laune, las einem die Wünsche von den Augen ab und saugte sogar die Waschflüssigkeit aus dem Kühlwasserbehälter, wenn man die Einfüllöffnungen verwechselt hatte. Ein toller Mensch!
    „Ja, Christof. Heute ist mein Tag.“
    Ich sagte es ganz ruhig. Eigenartigerweise spürte ich überhaupt keine Nervosität. Mir war klar, dass ich mich hervorragend vorbereitet hatte. Mein Gefühl sagte mir, dass die Rippe halten würde. Dr. Kirchhübel würde mir sicherlich helfen.
    Nachdem ich gezahlt hatte, fuhr ich in der schönen Morgenstimmung nach Gelnhausen. Das Wetter war ideal. Ein sonniger, aber kühler Oktobertag stand bevor. Die Wetterprognose lautete auf ca. 13 Grad, ideal für einen Langlauf.
    Fast pünktlich kam ich im Krankenhaus an. Dr. Kirchhübel erwartete mich und untersuchte mich schnell und gründlich. Dann legte er mir den Verband frisch an und befestigte darüber eine Plastikverschalung.
    „Die Verschalung ist aus dem Fußball. Dort gibt es ab und zu auch so verrückte Typen, die mit einer gebrochenen Schulter oder angeknacksten Rippen ein Spiel bestreiten, weil die Mannschaft ohne sie offensichtlich nicht auskommen kann, der Trainer Druck macht oder der Eigensinn enorm ist. Die Schale verhindert, dass Ihnen jemand anderes im Getümmel den Ellbogen auf den Brustkorb haut und dabei die Rippen trifft. Sie würden brüllen vor Schmerzen.“ Dann gab er mir noch eine Spritze. Bevor er sie in die Vene am Oberarm einführte, frage ich ihn, was es sei.
    „Sie erinnern sich noch, dass ich kein Doping wollte?“
    „Ja, das ist auch kein Doping. Ich werde Ihnen lediglich ein Schmerzmittel injizieren, das die Schmerzen unterdrückt, und einige entzündungshemmende Mittel. Ihr Körper ist immer noch sehr mitgenommen.“
    Nachdem die Spritze appliziert war, sah er mich sehr ernst an. „Versprechen Sie mir etwas?“
    „Was?“
    „Wenn Sie spüren, dass etwas nicht in Ordnung ist, dann brechen Sie den Lauf bitte ab. Vertrauen Sie Ihrer Intuition. Bitte riskieren Sie nicht Ihr Leben.“
    Er hatte Recht. Es sollte der Start in mein neues Leben sein. Ich war kurz vor der Ziellinie. Also beschloss ich, an seinen Rat zu denken.
    Vor der Tür wartete Tim und begrüßte mich freudig.

FRANKFURT MARATHON
    Die Luft vibrierte. Es war aufregend. Einige Tausend Läufer standen gestaffelt nach ihren Laufzeiten am Messegelände, umgeben von vielen Tausenden am Rande der Strecke. Es war ein wunderschöner Herbsttag. Die Sonne schien, es war angenehm kühl, und die Temperatur lag bei idealen 12 Grad Celsius.
    Rechts vorne konnte ich den Hammering Man sehen, ein beeindruckendes Kunstwerk

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