Der Sturm aus dem Nichts
unglücklichen Mann herunter.
Noch immer die Hand an das schmerzende Kinn gepreßt, sprang Maitland aus dem Wagen und brachte sich auf dem Gehsteig in Sicherheit. Der Verkehr war nunmehr ganz zum Stehen gekommen, und zwischen den wartenden Wagen hatte sich eine kleine Menschenmenge angesammelt und beobachtete aus sicherer Entfernung das Kabel, das immer wieder auf den Wagen herunterklatschte und die Straße und den zuckenden Körper des Fahrers mit einem Funkenregen überschüttete.
Eine Stunde später, als Maitland bei den Symingtons ankam war seine ganze linke Gesichtshälfte steif. Er saß im Wohnzimmer im Sessel, einen Eisbeutel auf dem Kinn, schlürfte einen Whisky und lauschte auf das ununterbrochene Rütteln des Windes an den Fensterläden.
»Der arme Kerl! Keine Ahnung, ob ich an der Leichenschau teilnehmen muß. In ein paar Tagen schwimme ich sicher schon auf dem Atlantik.«
»Das möchte ich sehr bezweifeln«, sagte Symington. »Auf dem Atlantik tut sich im Moment überhaupt nichts. Die Queen Elizabeth und die United States haben heute beide schon nach fünfzig Meilen wieder kehrtgemacht und sind nach New York zurückgefahren. Und heute früh ist ein Riesentanker im Kanal abgesoffen, und wir konnten weder ein Rettungsschiff noch ein Flugzeug hinschicken.«
»Wie lange geht das nun schon so mit dem Wind?« fragte Dora Symington. Sie war mollig und dunkelhaarig und erwartete ihr erstes Kind.
»Seit vierzehn Tagen ungefähr«, sagte Symington und lächelte seine Frau liebevoll an. »Aber mache dir keine Gedanken, einmal muß das ja wieder aufhören.«
»Hoffentlich«, erwiderte sie. »Ich kann nicht einmal einen Spaziergang machen, Donald. Und alles ist so schmutzig.«
»Ja, der Staub«, gab Maitland zu. »Der ist wirklich seltsam.«
Symington nickte, während er nachdenklich zu den Fenstern hinübersah. Er war zehn Jahre älter als Maitland, ein kleiner Mann mit großem, rundem Schädel, der schon kahl wurde, und klugen Augen.
Sie plauderten noch etwa eine halbe Stunde, dann brachte er seine Frau zu Bett. Als er zurückkam, schloß er die Türen und verstopfte die Ritzen mit Filzstreifen.
»Mit Dora ist es bald soweit«, erklärte er Maitland. »Scheußlich, daß es ausgerechnet jetzt all diese Aufregungen geben muß.«
Nun, da Dora nicht mehr da war, bemerkte Maitland erst, wie leer der Raum war, und stellte fest, daß die Symingtons anscheinend alle Gläser und Ziergegenstände sowie sämtliche Bücher fortgepackt hatten.
»Wollt ihr umziehen?« fragte er und zeigte auf die leeren Regale.
Symington schüttelte den Kopf. »Nein, nur Vorsichtsmaßnahmen. Dora hat heute morgen das Schlafzimmerfenster offengelassen, und ein herumfliegender Spiegel hat sie fast guillotiniert. Wenn der Wind noch zunimmt, sausen hier bald ein paar wirklich dicke Brocken herum.«
Irgend etwas in Symingtons Stimme ließ Maitland aufhorchen.
»Erwartet man denn, daß er noch zunimmt?« fragte er. »Nun ja, zu deiner Information: Er nimmt jeden Tag um fünf Meilen pro Stunde zu. Natürlich wird das nicht endlos so weitergehen, sonst würden wir alle buchstäblich von der Erdoberfläche geblasen, aber man kann sich wohl kaum darauf verlassen, daß er ausgerechnet dann nachläßt, wenn unsere Geduld erschöpft ist.« Er füllte sein Glas mit Whisky, goß Wasser zu und machte es sich Maitland gegenüber in einem Sessel bequem. Er untersuchte die Wunde an dessen Kinn. Die dunkelgefärbte Schwellung zog sich von der Kinnmitte über den Wangenknochen bis an die Schläfe hinauf.
Maitland nickte und lauschte dem rhythmischen Schlagen der Fensterläden und dem steten Brausen des Windes. Er war wohl zu sehr mit seinem Fluchtversuch aus England beschäftigt gewesen, um dem Wind mehr als nur flüchtige Beachtung zu schenken. Noch am Flughafen hatte er ihn als eine Laune des Wettergottes betrachtet und mit dem ungeduldigen Optimismus, so typisch für jeden Reisenden, darauf gewartet, daß er nachlassen und ihm gestatten würde, sein so überaus wichtiges Vorhaben, ein Flugzeug zu besteigen, auszuführen.
»Was halten denn die Wetterfrösche für den Grund?« fragte er.
»Den scheint kein Mensch zu kennen. Ganz unzweifelhaft besitzt der Wind einige ungewöhnliche Eigenschaften. Ich weiß nicht, ob du das schon bemerkt hast, aber er läßt nicht nach, auch nicht einen Augenblick.« Er drehte den Kopf dem hinter ihm liegenden Fenster zu, und auch Maitland horchte auf das stete, unveränderliche Heulen, das durch das Gewirr der
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