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Der Sturz - Erzählungen

Der Sturz - Erzählungen

Titel: Der Sturz - Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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gespielt war, weil er sichere Nachricht besaß, es sei mit dem Sturze des Parteisekretärs zu rechnen.

    B trat auf. (Erst jetzt bemerkte N, daß sich der Chef der Jugendgruppen P längst neben ihn gesetzt hatte, ein blasser, bebrillter, ängstlicher, beflissener Parteimensch, dessen Kommen unbemerkt geblieben war.) B ging ruhig an seinen Platz, legte seine Aktentasche auf den Tisch und setzte sich. Der Chefideologe und der Landwirtschaftsminister I, die immer noch standen, setzten sich ebenfalls. Die Autorität des Außenministers B war unbestritten, obgleich ihn alle haßten. Er war allen überlegen. N bewunderte ihn eigentlich. War der Parteisekretär der intelligente, organisatorische, war der Minister für die Schwerindustrie der instinktiv listige Praktiker der Gewalt, war der Chefideologe der Theoretiker, so war der Außenminister ein kaum faßbares Element des Machtkollektivs. Mit E und N war ihm die vollendete Beherrschung seines Sachgebiets 18

    gemeinsam. Er war ein idealer Außenminister. Doch im Ge-gensatz zu E und N war er in der Partei mächtig geworden, ohne sich jedoch wie D und G in innere Kämpfe zu verwickeln.
    Er war auch außerhalb der Partei einflußreich und kannte nichts als seine Aufgabe. Das machte ihn mächtig. Er war nicht treulos, doch ging er keine Bindung ein, auch persönlich war er Junggeselle geblieben. Er aß mäßig und trank mäßig, bei Banketten ein Glas Sekt, das war alles. Sein Deutsch, sein Englisch, sein Französisch, sein Russisch, sein Italienisch waren perfekt, seine Studie über Mazarin und seine Darstellung der frühindischen Großstaaten in viele Sprachen übersetzt, ebenso sein Essay über den chinesischen Zahlenbegriff. Auch kursierten Übersetzungen von Rilke und Stefan George von ihm. Am berühmtesten war jedoch seine ›Umsturzlehre‹, weshalb man ihn auch den Clausewitz der Revolution nannte.
    Er war unentbehrlich, und aus diesem Grunde haßte man ihn.
    Besonders A war er verhaßt, der ihn den ›Eunuchen‹ nannte, eine Bezeichnung, die jeder übernommen hatte, doch nicht einmal A wagte ihn, war B anwesend, so zu nennen. A nannte ihn dann nur ›Freund B‹, oder, war er außer sich, ›unser Genie‹. B dagegen sprach das Gremium mit ›meine Dame, meine Herren‹ an, als spräche er in einem bürgerlichen Verein.
    »Meine Dame, meine Herren«, begann er denn auch, kaum hatte er sich gesetzt und gegen seine Gewohnheit unaufgefor-dert zu reden: »Meine Dame, meine Herren, es mag vielleicht interessieren, der Atomminister O ist nicht erschienen.«
    Schweigen. B entnahm der Aktentasche einige Papiere, begann sie durchzulesen und sagte nichts mehr. N spürte, wie sich alle fürchteten. Die Verhaftung O’s war kein Gerücht. Etwas anderes konnte B nicht gemeint haben. Er hätte immer gewußt, daß O ein Verräter sei, verkündete der Staatspräsident K, O sei ein Intellektueller, und alle Intellektuellen seien Verräter, und Marschall H brüllte aufs neue: »Nieder mit den Feinden im Schoße der Partei!« Die beiden Gin-gis-Khane waren die 19

    einzigen, die reagierten, die ändern taten gleichgültig, außer D, der allen vernehmbar »Idioten« sagte, doch schienen es die ändern nicht zu beachten. Die Parteimuse öffnete die Handtasche und puderte sich. Der Außenhandelsminister studierte Akten, der Minister für Schwerindustrie seine Fingernägel, der Landwirtschaftsminister starrte vor sich hin, der Chefideologe machte Notizen, und der Minister für Transport L schien das zu sein, als was man ihn bezeichnete, ein unbewegliches Denkmal.

    A und C betraten das Sitzungszimmer. Nicht durch die Türe, die sich hinter dem Minister für die Schwerindustrie und jenem für die Verteidigung befand, sondern durch jene, die hinter dem Chefideologen und dem Landwirtschaftsminister gelegen war. C trug, wie immer, einen nachlässigen, blauen Anzug, A war in Uniform, doch ohne Orden. C setzte sich, A blieb hinter seinem Sessel stehen und stopfte behutsam seine Pfeife. C hatte seine Karriere in der Jugendorganisation begonnen und es bis zum Chef gebracht, dann wurde er von seinem Posten entfernt.
    Nicht aus politischen Gründen, die Klagen waren anderer Art.
    Darauf blieb er verschwunden. Gerüchte besagten, er habe in einem Straflager vegetiert, niemand wußte Näheres: plötzlich war er wieder da und gleich Chef der Geheimpolizei. Daß er auch jetzt in homosexuelle Affären verstrickt war, stand fest. A nannte ihn brutal seine ›Staatstante‹, doch wagte niemand mehr gegen

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