Der Sturz - Erzählungen
C zu protestieren. C war hochgewachsen, leicht verfettet und kahl. Ursprünglich war er Musiker gewesen und besaß das Konzertdiplom. War B der Grandseigneur, war C der Bohemi-en des Gremiums. Seine Anfänge in der Partei blieben im Dunkeln. Die Grausamkeit seiner Methoden war berüchtigt, der Terror, den er verbreitete, offensichtlich. Er hatte Unzählige auf dem Gewissen, die Geheimpolizei war unter seiner Regie mächtiger, das Spitzelwesen verbreiteter denn je. Viele sahen in ihm einen Sadisten, viele widersprachen. Sie behaup-20
teten, C bliebe keine andere Wahl, A habe ihn in der Hand.
Gehorche C nicht, könne ihm aufs neue der Prozeß gemacht werden. Der Boss der Geheimpolizei sei in Wirklichkeit ein Ästhet, der seine Stellung verachte und sein Metier hasse und gezwungen sei, es auszuüben, um sein Leben und das seiner Freunde zu retten. Persönlich war C liebenswürdig. Er wirkte sympathisch, ja oft schüchtern. C, der seine Aufgabe innerhalb der Partei und im Staate am unerbittlichsten erfüllte, schien ein falscher Mann am falschen Platz zu sein und vielleicht gerade deshalb so brauchbar.
A dagegen war unkompliziert. Seine Einfachheit war seine Kraft. In der Steppe aufgewachsen, von Nomaden abstam-mend, war ihm die Macht kein Problem, Gewalt etwas Natürliches. Er lebte seit Jahren in einem bunkerartigen, schlichten Gebäude, das in einem Wald außerhalb der Hauptstadt versteckt war, von einer Kompanie bewacht und von einer alten Köchin bedient, die beide vom Landstrich herkamen, aus dem er stammte. Er kam nur zu Besuchen fremder Staatsoberhäupter oder Parteichefs, zu seltenen Audienzen und zu den Sitzun-gen des Politischen Sekretariats in den Regierungspalast, doch hatte jedes Mitglied des Sekretariats einzeln dreimal in der Woche in seinem Wohnsitz zum Rapport zu erscheinen, wo A den Herzitierten im Sommer in einer Veranda mit Korbmöbeln und im Winter in seinem Arbeitszimmer empfing, das nichts als ein riesiges Wandgemälde, sein Heimatdorf darstellend, mit einigen Bauern belebt, und einen noch riesigeren Schreibtisch enthielt, hinter dem er saß, während der Besucher stehen mußte. A war viermal verheiratet gewesen. Drei seiner Frauen waren gestorben, von der vierten wußte niemand, ob sie noch lebe und, falls sie noch lebte, wo sie lebte. Außer seiner Tochter besaß er keine Kinder. Manchmal ließ er Mädchen aus der Stadt kommen, denen er nur zunickte und die nichts zu tun hatten, als neben ihm zu sitzen und stundenlang amerikanische 21
Filme anzuschauen. Dann schlief er in seinem Lehnstuhl ein, und die Mädchen konnten gehen. Auch ließ er jeden Monat in der Stadt das Nationalmuseum zusperren und wanderte allein stundenlang durch die Säle. Doch betrachtete er nie die Werke der modernen Kunst. Er stand andächtig vor spätbürgerlichen, historischen Riesenschinken, vor Schlachtengemälden, vor finsteren Kaisern, die ihre Söhne zum Tode verurteilten, vor Orgien betrunkener Husaren und vor von Pferden gezogenen Schlitten, die von Wölfen verfolgt über die Steppen fegten.
Ebenso primitiv war sein musikalischer Geschmack. Er liebte sentimentale Volkslieder, die ihm bei seinem Geburtstag der Trachtenchor seines Heimatortes vorsingen mußte. A pfaffte vor sich hin und betrachtete nachdenklich die Sitzenden. N
wunderte sich immer wieder, wie schmächtig und unscheinbar A in Wirklichkeit war, auf den Fotos und in der Television schien er breit und gedrungen. A setzte sich und begann zu sprechen, langsam, stockend, umständlich, sich wiederholend, penetrant logisch. Er fing mit einer allgemeinen Betrachtung an. Die zwölf übrigen Mitglieder des Politischen Sekretariats und der Anwärter P saßen unbeweglich, maskenhaft, lauernd.
Sie waren gewarnt. Wenn A etwas plante, begann er mit umständlichen Betrachtungen über die Entwicklung der Revolution. Es war, als ob er weit ausholen müßte, um seine tödlichen Schläge anzubringen. So führte er denn auch jetzt aus, was er immer dozierte. Das Ziel der Partei sei die Veränderung der Gesellschaft, das Erreichte sei gewaltig, die Grundsätze, welche die neue Ordnung ermöglichten, seien durchgesetzt, aber noch seien sie den Menschen nicht natürlich, sondern erst aufgezwungen, noch denke das Volk in alten Kategorien, befangen in Aberglauben und Vorurteilen, verseucht vom Individualismus, noch versuche es immer wieder aus der neuen Ordnung auszubrechen und einen neuen Egoismus zu installieren, noch sei es nicht erzogen, noch sei die Revolution
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