Der Symmetrielehrer
gerettet?«
»Hab ich nicht gezählt. Außerdem bin das nicht ich, das bist du. Ich habe bloß aufgepasst, dass Name und Schicksal übereinstimmen.«
»Bis zum Sergeanten hat er sich hochgedient …«
»Ja, er war schon zu allem bereit.«
»Was meinst du, darf er den Seinen wiederbegegnen?«
»Es steht uns nicht zu, uns gemein zu machen. Ohnehin sind wir zu weit gegangen …«
»Wen wir jetzt wohl kriegen? Wieder einen – nullachtfuffzehn, unausgebildet, untauglich?«
»Wohl kaum werden wir demselben Kommando zugeteilt.«
»Schade, wir haben uns nicht schlecht eingespielt.«
»Tja, dann leb wohl.« Kapitän und Leutnant drücken einander kräftig die Hand.
»Vielleicht doch unentschieden?«
»Meinst du, sie verlängern ihm die Dienstzeit?«
»Der Richter wird es klären.«
»Tja, dann ist es vielleicht noch
NICHT DAS ENDE
Postskriptum
» I ch bin der einzige Mensch auf der Welt, der in das rätselhafte Ende von Urbino Vanoski ein wenig Licht bringen könnte«, habe ich gleich am Anfang erklärt. Zu Unrecht.
Dunkel, das Ganze.
Natürlich war ich zum anberaumten Tag und Termin, genau nach Vereinbarung, zu ihm gekommen. Auf mein Klingeln reagierte er nicht. Als ich mir gewiss eine Stunde im Foyer die Beine in den Bauch gestanden hatte, wagte ich hochzusteigen und zu klopfen; es erfolgte keine Antwort, so stieß ich die Tür auf. Sie war nicht verschlossen, das Zimmer jedoch war leer und erstaunlich aufgeräumt, das Bett exakt gebaut, fast militärisch sogar. Auf dem Kissen lag ein gestärktes Hemd mit einer höchst ungewöhnlichen Krawatte und ein Gillette-Rasierer. Das war quasi der Kopf. Der Leib, das war das Typoskript des Romans »Das Verschwinden der Gegenstände«. An der Stelle des Knopfs gähnte ein Loch.
Ich beugte mich vor, um hineinzuschauen. Die Schwärze wirkte undurchdringlich und endlos. Absolute Finsternis. Ein Mensch hätte nicht durch das Loch gepasst. Auf jeden Fall konnte ich mich nicht entschließen, die Hand hineinzustrecken, nicht mal einen Finger.
Dunkel, das Ganze. Hinterlassen hat er nur die Bücher und ein schwarzes Loch. Wie heißt das doch irgendwo bei ihm – Literatur als die Produktion mit dem geringsten Abfall? »Eine Handvoll Asche auf dem Scheiterhaufen der Eitelkeit« – so, glaube ich. Irgendwo soll sich noch ein Sohn herumtreiben, was fraglich ist. Von Dika oder von Lili? Oder von wem? Je nun, sobald es was zu erben gibt, wird er sich melden. Genannt hat er ihn merkwürdig, wie ein Hündchen: Bibo.
Ich raffte das Manuskript zusammen, steckte, ohne zu zaudern, die Krawatte ein, und nach einigem Zaudern nahm ich
auch den Rasierer mit. Ausschau hielt ich nach der Photographie mit der trojanischen Wolke; sie war nicht mehr da.
Aber das dunkle, nicht abgeblasste Rechteck auf der Tapete war unter ihr (von ihr?) geblieben.
Das mit dem Knopf war zugleich einfach und kompliziert. Der Chef des kleinen Hotels, stellte sich heraus, war ein netter Mann, sogar Leser von Vanoski. Er war es, der diesen Knopf samt Ventilator und Abzug hatte einrichten lassen, damit Urbino zumindest ein bisschen frische Luft bekäme. Bloß, das Loch war nicht von ihm, er hatte niemals vorgehabt, etwas abzumontieren!
»Nach jedem anständigen Autor sollte ein unveröffentlichtes Manuskript hinterbleiben« – ein Zitat Vanoskis aus unserem einzigen Gespräch (dem letzten, wie sich zeigte).
Ich betätigte mich als Entdecker und Editor des »Verschwindens der Gegenstände«, womit auch meine erfolgreiche Herausgeberkarriere begann.
A. T-B.
Editorische Notiz
Die Anfänge von Bitows Symmetrielehrer reichen in die frühen siebziger Jahre zurück – so abzulesen am Vorwort des »Übersetzers«. Dieses Vorwort und drei Novellen (»Ansicht des Himmels über Troja«, »O – Zahl oder Buchstabe« und »Die Schlacht am Alphabetos«) erschienen 1987 in der Aprilnummer der Zeitschrift Junost , 1988 in einem russischen Sammelband von Bitows Prosa; 1990 kamen die bis dato vorliegenden Teile des Werks auf französisch heraus ( Le Professeur de symétrie , Übersetzung Philippe Mennecier, Editions du Seuil).
Wie mehrfach bei Andrej Bitow, haben sich unterwegs, im Lauf der Veröffentlichungsgeschichte, Komposition und Textgestalt verändert. Noch während der Arbeit an der vorliegenden deutschen Fassung, also nach der »endgültigen« russischen Buchausgabe von 2008, ließ sich der Autor bisweilen durch Fragen der Übersetzerin provozieren und griff an einigen
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