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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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rief aus einem anderen Fenster eine Matrone, deren Brüste auf dem Fensterbord lagen wie zwei Säcke Korn. »Wir wissen alle, Monsieur de Vic, was für ein tapferer Held Ihr seid! Aber eine Sprengung in der Rue du Champ Fleuri, das laßt schön bleiben! Uns würden ja alle Fensterscheiben zerspringen, und, Jesus! wer bezahlt uns die? Und woher soll man heutzutage Glas nehmen? Und zu welchem Preis?«
    Hierauf erscholl von allen Seiten ein solcher Beifall, daß ich schon den Moment kommen sah, da meine guten Nachbarn mir um meines schönen Tores und ihrer Fensterscheiben willen verwehren würden, mein Eigentum überhaupt zu betreten.
    »König Henri hat schon recht«, knurrte Vic an meinem Ohr. »Das Volk ist eine Bestie, besonders das Pariser Volk. Es gibt keins, das streitlustiger und aufsässiger ist. Wenn ich sprenge, macht mir das Pack hier einen Aufruhr. Und wenn ich schuld bin an einem Aufruhr, was sagt dann der König?«
    »Meister Gaillardet«, rief ich zu dem schnurrbärtigen Gevatter hinauf, der zuvor gesprochen hatte, »ließe sich nicht ein Feld des Tores mit der Axt einschlagen, so daß man die Hand durch das Loch stecken und die Riegel öffnen könnte?«
    »Vielleicht«, sagte Meister Gaillardet.
    »Fünf Sous für dich, wenn du es versuchst!«
    »Zehn, Herr Marquis, bei dem harten Holz.«
    »Topp!«
    »Herr Marquis«, flüsterte Guillemette, indem sie mich am Ärmel zupfte, »zehn ist zuviel. Der will Euch ausnehmen.«
    »Schon wieder du, Guillemette!« sagte ich leise. »Was suchst du noch immer hier?«
    »Es kommt ja nicht alle Tage vor, daß man auf unserer Gasse einen solchen Aufmarsch erlebt!« erwiderte die Schelmin. »Wer weiß, womöglich gibt es noch Tote!«
    »Herr Marquis«, rief Gaillardet, indem er seine breiten Schultern zum Fenster hinauslehnte und seinen furchteinflößenden Schnurrbart strich, »ich muß nur mein Holzbein anschnallen und meine Axt holen, dann bin ich Euch zu Diensten!«
    »Beim Ochsenhorn, Moussu!« sagte Miroul an meinem Ohr, »was macht Pissebœuf so lange? Er ist vor einer guten halben Stunde gegangen, aber von einem Laufjungen, der uns meldet, was in der Rue du Chantre passiert, ist kein Schwanz zu sehen!«
    »Geduld!« sagte ich. »Pissebœuf ist kein Döskopf.«
    »Herr Marquis«, rief aus einem Fenster eine hübsche Person mit tief ausgeschnittenem Mieder, »kennt Ihr mich noch? Ich bin es, Jeannette, die Haubenmacherin von Frau Angelina. Ich war vor sechs Jahren bei Euch.«
    »Wahr und wahrhaftig!« ließ die großbusige Matrone sich vernehmen, »wenn man sieht, wie schamlos das junge Ding Haut zeigt, kann man wohl wetten, daß die was anderes macht als Hauben!«
    »Ha, so spricht der Neid!« rief die Junge mit blitzenden Augen. »Wer hat, der hat!« Und flugs nutzte sie ihren Vorteil, um sich vor den Nachbarn damit zu spreizen, daß sie quasi zu meinem Gesinde gehört hatte. »Herr Marquis, wie geht es dem Waffenmeister Giacomi?«
    »Er ist tot, leider, im Krieg gefallen.«
    »Und seine Gemahlin, die Frau Larissa?«
    »Auch tot, von einem Gehirnfieber dahingerafft.«
    »Und Frau Angelina?«
    »Gesund und munter. Unsere Kinder ebenso.«
    Nachrichten, die sich augenblicks wie ein Lauffeuer in der Rue du Champ Fleuri verbreiteten, die ja von etlichen betuchten Bürgern und wohlgeborenen Edelleuten bewohnt war, welche sich dir, Leser, in dieser Erzählung bislang nur nicht zeigten, weil sie es unter ihrer Würde erachteten, am Fenster nach allem Neuesten Ausschau zu halten, sich hierin aber nichtsdestoweniger auf ihr zahlreiches Gesinde verließen.
    »Sapperlot!« sagte Monsieur de Vic, die Schultern reckend, »wo zum Teufel bleibt dieser lausige Tischler? Wie lange braucht der, um seine Axt zu holen?«
    »Meiner Treu, Monsieur de Vic!« rief die dicke Gevatterin aus ihrem Fenster, »wenn Ihr ein Holzbein hättet, würdet Ihr vielleicht auch eine Weile brauchen, bis Ihr die Treppe hinunterkämt.«
    Alles lachte, und mit kaum verhohlener Schadenfreude, weil die gute Frau sich getraut hatte, einen königlichen Offizier zu rüffeln, ohne daß der etwas dawider tun konnte.
    »Ich könnte rasen, Siorac!« sagte Vic, indem er mich beiseite zog. »Tagtäglich sehne ich mich nach meiner Guyenne zurück! Diese Pariser sind das unverschämteste Volk der Schöpfung, das hat vor nichts Respekt, nicht vor Adel noch König. Und man muß es erdulden, man kann doch nicht alle hängen.«
    »Betet, Vic!« sagte ich lachend, »betet, daß der Himmel die rebellischen Instinkte

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