Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
ERSTES KAPITEL
»Mein Pierre«, sagte Miroul, als er mich am Freitag, dem 25. März, in aller Frühe weckte, »wollt Ihr wissen, was mir den ganzen letzten Tag und die ganze Nacht durch den Kopf ging?«
»Herr Junker«, sagte ich gähnend, »soll ich Euch das wirklich fragen? Verratet Ihr’s mir nicht sowieso?«
»Gut denn: Am 22. März ist Heinrich IV., unser Henri, in seine Hauptstadt und in den Louvre eingezogen. Aber Ihr, Herr Marquis, steht da wie zuvor, weil Euer Haus seit den Barrikaden 1 noch immer von den Leuten der Liga besetzt ist.«
»Des einen Freud, des anderen Leid. Ich wette, dort hat sich irgend so ein Lausekerl von den ›Sechzehn‹ eingenistet wie ein Kuckuck, und ich werde ihn mit Büttelgewalt aus meinem Eigentum verjagen müssen.«
»Nicht nötig, Moussu 2 .«
»Ah, sieh an!«
»Habt Ihr vielleicht gehört, welches Ungemach drei ligistische Frauenzimmer vor Verdruß darüber traf, daß Paris sich Henri ergeben hat?«
»Diga me.«
3
»Die erste, Dame Lebrun, Tuchhändlerin in der Grand’rue Saint-Denis, fiel vor Schreck tot um, als sie den König
intra muros
4 sah. Der zweiten, Kammerjungfer des Erzligisten Beri, blieb die Sprache weg. Die dritte, Ehefrau des Advokaten Choppin, verlor den Verstand. Wozu Monsieur de l’Etoile, der mich gestern mit seinen Neuigkeiten letzte, meint, daß diese wenigstens nicht viel verloren hat.«
»Guter Witz! Fahr fort. Mir schwant, wir nähern uns meinem Haus.«
»Da sind wir schon, Moussu. Besagter Choppin nämlich ist zufällig der Onkel eines gewissen Bahuet, welcher dank der ›Sechzehn‹ bis heute unrechtmäßig und unerlaubt in Eurem Hause sitzt.«
»Klein ist die Welt!«
»Winzig klein! Denn wißt Ihr, wer dieser Bahuet ist?«
»Ich höre.«
»Der ehemalige Sekretär des Chevalier d’Aumale.«
»Beim Ochsenhorn! Ein Glück nur, daß der König mir Stillschweigen darüber befahl, daß ich den Chevalier beseitigt habe. Sonst könnte man glauben, ich hätte ihn aus privater Rache erschossen. Aber diesen Bahuet, den werde ich jetzt schnellstens aus meinem Bau verscheuchen.«
»Nicht nötig, Moussu.«
»Miroul, du wiederholst dich.«
»Nein doch! Wie ich gestern hörte, steht dieser Bahuet auf der Liste jener 140 Personen, die der König als stärkste Parteigänger der ›Sechzehn‹ aus seiner guten Stadt verbannt. Das Edikt tritt heute zur Mittagsstunde in Kraft.«
»Dann brauche ich also nicht gleich hinzulaufen.«
»Im Gegenteil, Moussu. Seit gestern wimmelt die Stadt von königlichen Offizieren, die ein Dach überm Kopf suchen, und wer ein leerstehendes Haus sieht, der nimmt es in Beschlag.«
»Guter Gedanke, Herr Junker.«
»Herr Marquis, darf ich Euch erinnern, daß wir vereinbart hatten, untereinander nicht ganz so förmlich zu sein? Was mich angeht, so möchte ich für Euch ›Miroul‹ sein wie immer und nicht ›Monsieur de La Surie‹ oder ›Herr Junker‹.«
»Und ich für dich ›mein Pierre‹ und nicht ›Moussu‹, weil dein ›Moussu‹ noch immer nach dem perigordinischen Diener klingt, der du nicht mehr bist.
Usted està de acuerdo?
«
»Sí, señor. Quiero decir: Sí, Pedro.«
»Està bien.«
1
»Mein Pierre«, sagte Miroul, »um beim Spanischen zu bleiben: Was macht Ihr mit Doña Clara?«
»Wenn sie will, kann sie hier, in der Rue des Filles-Dieu, wohnen bleiben. Schließlich möchte ich nicht, daß sie mit meiner Angelina zusammentrifft, falls meine Gemahlin einmal die Lust anwandelt, mein Gut Chêne Rogneux zu verlassen und sich in meinem Stadthaus aufzuhalten.«
»Und Héloïse?«
»Ha, Miroul! Schelm du! Sie bleibt natürlich in Doña Claras Diensten. Und Lisette ebenso.«
»Was Lisette betrifft, mein Pierre, tut Ihr nicht mir einen Gefallen, sondern Monsieur de l’Etoile. Aber, gerechter Gott, das alles auf Eure Kosten! Denn dann zahlt Ihr ja weiterhin Miete für ein Haus, das Ihr nicht mehr bewohnt!«
»Wozu hat man Freunde, wenn man ihnen nicht dient?«
»Mein Pierre, das ist tiefsinnig. Das schreibe ich mir auf.«
»Woher weißt du, daß dieser Bahuet verbannt wird?«
»Vom Schreinermeister Tronson, dem er Geld schuldet. Weshalb der es sich zurückholen will, bevor Bahuet die Stadt verläßt. Er würde uns gern begleiten.«
»Kann er nicht allein gehen?«
»Er traut sich nicht. Dieser Bahuet ist ein gewalttätiger Bursche, der sich mit üblem Gelichter umgibt.«
»Getreu den Manen des Chevalier d’Aumale.«
»Ha, mein Pierre! ›Den Manen des d’Aumale‹! Ein hübsches
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