Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
Vom Netzwerk:
Ich suchte sein Zimmer. Seinen Atem. Seinen Körper. Die Richtung seiner Träume. Ich fand sie. Ich folgte ihnen.
    Ich betrat die Villa von Khalid. Köstliche Düfte, die ich unschwer erkannte, erfüllten das Erdgeschoss: schwarzer Kaffee, zu stark gesüßter Pfefferminztee, Marmelade, Honig, Hörnchen, Schokobrötchen, kleine marokkanische Pfannkuchen. Ich ging in den ersten Stock hinauf. Ohne anzuklopfen, betrat ich Khalids Zimmer. Seine kleine Schreibtischlampe brannte wie immer. Khalid schlief tief und fest. Auf dem Bauch. Sein Bett war klein. Aber nicht zu klein. Ein grünes Bett. Während ich die Schuhe auszog, redete Khalid im Schlaf: »Ja, ja, ich war es . . . Nein, nein, ich war's nicht . . . Ich schwöre es . . . Ja, ja . . .« Ich knipste die Lampe aus und legte mich zu ihm in das kleine grüne Bett. Ohne ihn aufzuwecken. Er war es gewohnt. Von mir. Von meinem Körper. Von uns. Zu zweit. Eins.
    Ich schloss die Augen. Ich träumte. Ich war bei Khalid. Ich schlief mit meiner Straßenkleidung in seinem Bett. Allein in seinem Bett. Dann neben ihm. Aus der weitesten Ferne meines Schlafs redete nun aber ich: »Nein, nein, ich war es nicht . . . Ja, ja, ich war es . . . Ich . . . ehrlich . . . ehrlich.«
    Â 
    Eine Frau packte mich plötzlich an der linken Hand. Ich ließ Salé im Stich. Ich wandte mich ihr zu. Ich glaubte eine Sekunde lang, sie wäre meine Mutter. Aber natürlich war sie es nicht. Diejenige, die ihre Hand in meine gelegt hatte, war jünger. Ein junges Mädchen am Ende seiner Jugendjahre. Und bereits Witwe. Bereits eins mit dem Tod. Ihre Hand, die mit dem Tod eins war, berührte die meinige. Dieser Gedanke erschreckte mich. Und so zog ich sie hef
tig zurück. Ich rang nach Luft, als hätte ich einen zehn Kilometer langen Dauerlauf hinter mir. Die junge Frau begriff. Sie neigte sich mir zu und sagte sanft: »Keine Bange, keine Bange. Wir wollen euch beiden, deinem Vater und dir, nur etwas vorschlagen. Aber ich traue mich nicht, deinen Vater anzusprechen. Er wirkt so abwesend. Komm du, komm . . .«
    Ich blickte ihr direkt in die Augen, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich ihr nicht folgen würde.
    Meine Mutter hatte mich vor ihrem Fortgehen vor fremden Frauen gewarnt: »Sie könnten dich benutzen, um andere Frauen mit einem Fluch zu belegen. Halte dich unbedingt immer fern von fremden Frauen.« Ich verstand nicht, wie das hätte gehen sollen, wie meine bloße Gegenwart einer Frau, die andere Personen mit ihrer Hexenkunst bekriegte, hätte helfen sollen. Ich war neugierig geworden und wollte der Unbekannten schon folgen, um das Geheimnis zu lüften, doch die Stimme meiner Mutter kehrte wieder, um mich daran zu hindern.
    Etwas in meinen Augen hatte mich wohl verraten. Die junge Frau legte die Hand auf meinen Arm und zog mich in Richtung Treppenhaus. Und dort hob sie wütend zu einer langen Rede an. Sie hatte all meine Befürchtungen in meinen Gedanken gelesen.
    Â»Ich bin keine böse Hexe. Verstehst du? Sieh mich nicht so an, als wäre ich eine Verbrecherin, eine Verrückte. Ich bin zu Bouhaydoura gekommen, um eine Ungerechtigkeit wiedergutzumachen. Um endlich Gottes Gerechtigkeit auf meiner Seite zu haben. Ich werde niemandem etwas Böses tun. Und dir schon gar nicht. Du bist wie der Sohn, den ich nie haben werde. Du bist noch rein. Aber pfiffig siehst du auch aus. Also, hör zu, was ich dir jetzt sagen will. Die anderen Frauen und ich werden lange mit
Bouhaydoura zu tun haben. Vielleicht dauert es sogar den ganzen Tag, bis ihr an die Reihe kommt. Alle, absolut alle von uns werden vorgelassen werden. Wir werden ihm gegenüberstehen und ihn umringen. Wir sind in derselben Angelegenheit da. Aber er muss uns alle anhören, eine nach der anderen. Wir haben alle dieselbe Schmach erlitten. Denselben Schmerz. Nur Bouhaydoura kann uns helfen, uns Aufschluss geben. Uns heilen. Uns Erleichterung bringen. Uns rächen. Dir und deinem Vater lassen wir den Vortritt. Vor uns. Hast du verstanden? Sieh mich nicht so an! Hast du verstanden? Ich bin kein Engel. Nicht mehr. Aber du hast von mir nichts zu befürchten. Du hast mir ja nichts getan. Hast du verstanden? Rede . . . Bist du stumm? Hast du Durst?«
    Ich nickte, um zu zeigen, dass ich sie verstanden hatte.
    Â»Sag es jetzt deinem Vater, geh. Scheich

Weitere Kostenlose Bücher