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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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streckte die Waffen. Nein, nein, er würde jetzt nicht weinen. Vor diesem Magier gestand er seine Niederlage ein, bat um Hilfe. Die Hilfe eines anderen Mannes, wie er und doch nicht wie er. Vor Bouhaydoura konnte sich mein Vater in seiner Blöße zeigen. Er wusste, dass er nicht verurteilt, verachtet, gedemütigt werden würde. Auch so konnte ein Mann sein. Zeitweise.
    Bouhaydoura, derartige Sympathiebekundungen zweifellos gewohnt, ließ es mit sich geschehen. Er streckte meinem Vater die Hände hin. Der sie so lange wie möglich umschlossen hielt.
    Ich aber sagte nichts. Ich tat nichts. Ich hielt mich dicht bei meinem Vater, beobachtete, was sich vor mir abspielte, und versuchte zu verstehen. Natürlich begriff ich nicht alles. Die Welt war anders als die, die mir beigebracht worden war. Zwei Männer, zwei Väter, erlaubten sich vor meinen Augen, vor mir treuherzigem Zeugen, unmögliche, anderswo undenkbare Gebärden.
    Bei Bouhaydoura wurde die Welt neu erfunden, ihre Gesetze, ihre Strukturen. Ihre Waffen. Man fing wieder bei null an.
    Ich sagte nichts. Ich glaubte nicht an dieselben Dinge wie mein Vater. Was sich aber vor mir zutrug, war ungewöhnlich und gewaltig genug, um mich zu erschüttern, zu prägen. Und um auch mich eines schönes Tages zum Weinen zu bringen.
    Â 
    Â»Wo ist sie jetzt?«, fragte Bouhaydoura.
    Â»In ihrem Kaff in der Nähe von Azemmour.«
    Â»Seit wann?«
    Â»Seit gestern.«
    Â»Erst seit gestern?«
    Â»Nein, Verzeihung. Was sage ich da? Was habe ich gesagt? Gestern? Nein . . . Sie ist seit . . . zwei . . . drei Monaten weg. Genau, seit drei Monaten.«
    Â»Das ist nicht viel, drei Monate.«
    Â»Es ist nicht das erste Mal, Sidi . Sie hat die Flucht ergriffen. Ich habe das Gefühl, es ist endgültig. Ich weiß es. Sie wird nicht wiederkommen. Ich bin zu nichts fähig, zu nichts, ohne sie. Ich bin ohne sie kein Mann mehr. Helft mir. Ich bin zu allem bereit.«
    Â»Haben Sie etwas mitgebracht, was sie hinterlassen hat, Unterwäsche zum Beispiel?«
    Â»Es war sehr schwierig, welche zu finden, Sidi . Sie ist listig. Sie hat alle ihre Sachen mitgenommen. Die Unterhose, die ich schließlich letzte Nacht gefunden habe, ist leider sauber. Tut mir leid. Tut mir leid. Ist es Euch möglich, Eure Arbeit zu machen, auch wenn die Unterwäsche sauber ist? Ist das möglich?«
    Â»Alles ist möglich. Man muss es nur beschließen.«
    Â»Sie hat mich verlassen. Einfach sitzenlassen. Sie ist zu ihrer ersten Liebe zurückgekehrt. Zur Prostitution. Ich halte das nicht aus. Ich bin völlig kopflos. Sie ist nun sicher überglücklich mit ihren Schwestern, ihren Kusinen, ihrer Mutter, ihrer Großmutter. Ihre Familie besteht nur aus Frauen. Sie sind . . . Sie sind alle . . . Pardon, es vor Euch zu sagen, Sidi . . . Alle sind Huren. Dreckige Huren. Ganz dreckige . . . Puffmütter. Genau das, was ich nicht ausstehen kann. Heute, meine ich. Aber als ich sie kennenlernte, in der Nähe des Mausoleums des heiligen Moulay Bouchaib, gefiel mir genau das besonders an ihr. Und es gefällt mir noch immer an ihr. Eine Hure. Pardon, Sidi , pardon.
Eine Hure. Damals eine Hure für die anderen, für alle anderen. Dann, dank eines Fquihs , der in ihrem Dorf die Heiratsurkunde ausstellte, für mich. Meine Frau ist eine Hure. Pardon, Sidi , pardon. Eine ehemalige Hure. Ich habe sie aus ihrem Milieu weggebracht. Ich nahm sie mit hierher nach Salé, wo sie niemanden kannte. Ich verwahrte sie gut, meine Frau. Fast immer eingeschlossen. Ich hatte Angst, Sidi , die anderen könnten sie mir wegnehmen. Ab und zu habe ich sie vielleicht schlecht behandelt. Ich habe sie auch geschlagen, in manchen durchzechten Nächten. Ich habe sie auch zuweilen beschimpft. An ihre Vergangenheit als Prostituierte erinnert. Aber es ging immer glimpflich ab. Schließlich gehörte sie doch mir. Sie war meine Hure. Deswegen liebte ich sie ja auch. Euch, Sidi, muss ich die Wahrheit sagen. Ich war stolz darauf, eine Frau wie sie zu haben. Sie abgerichtet zu haben, gut abgerichtet. Das glaubte ich jedenfalls.«
    Â»Was willst du also von mir?«
    Â»Sie wiederfinden. Sie soll zurückkommen. Sie soll zurückkommen, wie sie ist, wie damals. Ich werde dieses Mal alles hinnehmen, aber sie soll zurückkommen. Ohne sie bin ich nichts. Ohne sie kann ich nichts. Ich verstehe

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