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Der Tag des Königs

Der Tag des Königs

Titel: Der Tag des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdellah Taïa
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sie nicht. Ich verstehe sie nicht. Ich will sie, wie sie ist. Ist das möglich, Sidi ? Ihr seid mächtig, das sagen alle. Eure Rückkehr wurde voller Ungeduld erwartet. Helft mir! Helft mir!«
    Â»Ihnen helfen! Schon gut, schon gut. Und wobei genau?«
    Â»Sie zurückzuholen.«
    Â»Sie zurückzuholen ist einfach. Sie bei Ihnen zu behalten wird weitaus schwieriger werden.«
    Â»Also, was tun? Ich bin zu allem bereit. Ich bin zu allem bereit. Ich will sie, ich will sie. Die Welt ist nicht für den Mann allein geschaffen. Ein Mann wie ich ohne Frau!
Ich kann so nicht leben, in diesem andauernden Schmerz, in ihrer Abwesenheit. Ein Mann ist nichts, ein Mann ist leer, nackt, lächerlich, ohne eine Frau. Es ist peinlich, was ich sage, nicht? Aber ich pfeife drauf. Zum ersten Mal in meinem Leben pfeife ich auf die anderen. Ich pfeife auf meine Familie, auf meine Brüder, auf meine Onkel, auf meine Freunde. Sollen sie hinter meinem Rücken sagen, was sie wollen. Niemand zählt für mich so sehr wie sie. Ich wusste es. Tag um Tag wird es mir bewusster. Sie ist alles für mich. Alles. Absolut alles. Deshalb wollte ich sie für mich allein behalten. Und keiner darf sie sehen. Sie muss immer zu Hause bleiben, immer für mich. Und darf nicht ausgehen. Sie gehört mir. Mir gefällt, dass sie mir allein gehört, mir allein.«
    Â»Schon gut, schon gut.«
    Â»Männer sind eben so, oder etwa nicht?«
    Â»Männer?«
    Â»Ja, sagt es doch . . . sagt es mir. Von Euch, Sidi , akzeptiere ich alles, Ihr seid die Wahrheit, die ich . . .«
    Â»Da irren Sie sich. Haben Sie meine Getreuen gesehen?« 
    Â»Ja.«
    Â»Nur Frauen.«
    Â»Ja, Sidi .«
    Â»Also bitte.«
    Â»Ich verstehe nicht.«
    Â»Eines Tages werden Sie es verstehen.«
    Â»Eines Tages? Aber dann ist es vielleicht schon zu spät . . . Heute will ich die Wahrheit.«
    Â»Die Wahrheit ist nicht meine Aufgabe.«
    Â»Pardon, Sidi , pardon. Ich falle Euch mit meinem Unglück lästig, pardon. Ich will ja nur, dass sie wieder nach Hause kommt. Dieses Mal werde ich mit ihr sprechen.
Ich werde mit ihr sprechen. Ich schwöre es. Ich werde mit ihr sprechen.«
    Â»Machen Sie mir keine Versprechungen. Geben Sie mir die Unterhose Ihrer Frau. Wir beginnen mit der Arbeit.« 
    Â»Sie ist nicht schmutzig. Tut mir wirklich leid.«
    Â»Keine Sorge. Ich weiß, was ich tue.«
    Â»Tut ihr aber nicht zu sehr weh, Sidi .«
    Â»Weh?«
    Â»Nur ein bisschen . . . Sie soll verstehen . . . Sie soll zurückkommen . . . Sie soll wieder vernünftig und fügsam werden. Eine Frau wie alle anderen. Nun ja, nicht wie die anderen. Ich will sie, wie sie ist, aber für mich, für mich.« 
    Â»Pst! Ruhe!«
    Â»Pst! Gut, Sidi , in Ordnung. Ich halte den Mund. Ich bin ja schon weg. Ich existiere nicht mehr.«
    Â»Pst! Ich arbeite.«
    Â»Pst, ja, Sidi . . .«
    Â»Wie heißt sie?«
    Â»Zhor.«
    Â»Und ihre Mutter?«
    Â»Fatima . . .«
    Â»Zhor Bent Fatima.«
    Â 
    Noch nie zuvor hatte ich meinen Vater so gesehen. Am Boden. Verstört. Ein Kind. Ein Kleines ohne seine Mama. Nur ohne Schreie.
    Ich wohnte dem Gespräch zwischen ihm und Bouhaydoura konzentriert und abwesend bei. Teilnehmend und zerstreut. In den Bann geschlagen vom einen. Ungläubig vor dem anderen. Ich hörte zu und hörte nicht zu. Ich kannte all diese Wörter, die zitternd aus dem Mund meines Vaters hervorquollen. Ich kannte ihre Realität. Ihren zwanghaften Bezug. Meine Mutter. Zuweilen unanständige Wör
ter, die ihr, anstatt sie zu vernichten, seltsamerweise mehr Größe verliehen und ihr Geheimnis noch undurchdringlicher machten.
    In einer anderen Welt, in Schwarz und Weiß, doch mit mehr Schwarz als Weiß, auf dem Dach eines dreistöckigen Hauses in Tabriquet, fast im Himmel, wurde mir erneut klar, dass ich meine Mutter nicht liebte. Dass ich sie nicht kannte. Dass ich sie nie gekannt hatte. Ich hatte neben ihr gelebt, ohne sie zu sehen. Sie hatte mich großgezogen, ohne mich anzublicken.
    Woher kam sie? Azemmour? Was ist das, Azemmour? Wo liegt Azemmour? Was gibt es alles so in Azemmour? Und wie sind die Frauen von Azemmour? Wie sind die Frauen in Azemmour? Der Name ist schön. Vielleicht stammt er von den Berbern. Er hat etwas Freies, Poetisches.
    Azemmour. Dieser Name war

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