Der Tempel
leise etwas ins Ohr. Race verstand die Worte »… den Marschbefehl erhalten«.
»Wann?«, fragte Nash leise.
»Vor zehn Minuten, Sir«, flüsterte der Soldat zurück.
Nash warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr. »Verflucht!«
Er fuhr zu Race herum. » Professor Race, uns bleibt nicht viel Zeit, also werde ich nicht um den heißen Brei herumreden. Dies ist eine sehr wichtige Mission, eine Mission, die die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten betrifft. Aber es ist auch eine Mission, für die nur ein kurzes Zeitfenster zur Verfügung steht. Wir müssen sofort handeln. Doch dazu benötige ich einen Übersetzer. Einen Übersetzer für einen mittellateinischen Text. Sie.«
»Und wie rasch?«
»Draußen wartet ein Wagen.«
Race schluckte. »Ich weiß nicht …«
Er spürte aller Blicke auf sich liegen. Plötzlich machte ihn die Aussicht, mit Frank Nash sowie einer Mannschaft bewaffneter Green Berets einem unbekannten Ziel entgegenzureisen, reichlich nervös. Er fühlte sich überfahren.
» Was ist mit Ed Devereux in Harvard?«, fragte er. »Er ist in Mittellatein weit besser als ich. Er wäre schneller.«
» Ich brauche nicht den Besten«, erwiderte Nash, »und ich habe keine Zeit für einen Abstecher nach Boston. Ihr Bruder hat uns Ihren Namen genannt. Er hat gesagt, Sie seien gut, in New York und ein ziemlich anständiger Mensch. Das genügt. Ich brauche jemanden, der den Job sofort erledigt.«
Race biss sich auf die Unterlippe.
»Während der gesamten Mission steht Ihnen ein Leibwächter zur Verfügung«, sagte Nash. »Wir schnappen uns in etwa dreißig Minuten das Manuskript in Newark und springen ein paar Minuten später ins Flugzeug. Wenn alles gut geht, haben Sie den Text noch vor unserer Landung übersetzt. Sie werden womöglich nicht mal das Flugzeug verlassen müssen. Und wenn Sie es tun, wird sich ein Trupp Green Berets um Sie kümm ern.«
Bei dieser Aussicht runzelte Race die Stirn.
»Professor Race, Sie werden bei dieser Mission nicht der einzige Akademiker sein. Walter Chambers aus Stanford ist dabei, Gabriela Lopez aus Princeton und Lauren O’Connor aus …«
Lauren O’Connor , dachte Race.
Diesen Namen hatte er seit Jahren nicht mehr gehört.
Race kannte Lauren aus seinen Collegetagen am USC. Während er Sprachen studiert hatte, promovierte sie in Naturwissenschaften – theoretische Physik. Sie waren eine Weile zusammen, aber es endete schlecht. Zuletzt hatte er gehört, dass sie in den Labors von Livermore gearbeitet habe, in der Abteilung für Kernphysik.
Er blickte Nash an und überlegte, wie viel der Colonel a.D. von Lauren und ihm wusste – und ob er ihren Namen absichtlich fallen gelassen hatte.
Die Sache war die: Falls ja, dann funktionierte es.
Wenn Lauren irgendetwas war, dann schlau. Sie würde nicht ohne guten Grund an einer solchen Mission teilnehmen. Die Tatsache, dass sie einverstanden gewesen war, Teil von Nashs Abenteuer zu werden, verlieh ihm Glaubwürdigkeit.
» Professor, man wird Sie für Ihre Zeit großzügig entschädigen.«
»Das ist es nicht …«
» Ihr Bruder ist ebenfalls Teil des Teams«, meinte Nash, womit er Race überraschte. »Er wird aber nicht mitkommen, sondern beim technischen Team in unseren Büros in Virginia arbeiten.«
Marty , dachte Race. Er hatte ihn seit langer Zeit nicht mehr gesehen – seitdem sich ihre Eltern vor neun Jahren hatten scheiden lassen. Aber wenn Marty ebenfalls in die Sache verwickelt war, dann …
»Professor Race, tut mir Leid, aber wir müssen los. Auf der Stelle. Ich brauche eine Antwort.«
»Will«, sagte nun John Bernstein, »das könnte für den Ruf der Universität sehr günstig …«
Race sah Bernstein stirnrunzelnd an, sodass diesem die Worte im Mund erstarben. Dann fragte er Nash: »Sie sagen, es betrifft die nationale Sicherheit?«
»Stimmt genau.«
»Aber Sie können mir nicht sagen, wohin es geht?«
»Nicht bis wir im Flugzeug sind. Dann kann ich Ihnen alles sagen.«
Und ich werde einen Leibwächter haben , dachte Race. Normalerweise benötigt man nur dann einen Leibwächter, wenn einen jemand umbringen will.
Im Büro herrschte Schweigen.
Race spürte, dass alle auf seine Antwort warteten. Nash. Bernstein. Die drei Green Berets.
Er seufzte. Er konnte einfach nicht glauben, was er jetzt sagen würde.
»Also gut. Ich tu’s.«
***
Race folgte Nash rasch den Korridor hinab, noch immer in Jackett und Krawatte.
Es war ein nasskalter Wintertag in New York, und während er durch das
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