Pern 01 - Die Welt der Drachen
Bis der Rote Stern gebannt
Lessa fror, als sie erwachte Es war nicht nur die Kälte der ewig feuchten Steinwände. Sie fror, weil sie eine Gefahr heraufziehen spürte, deutlicher noch als vor zehn Planetendrehungen, da sie sich wimmernd in der stinkenden Hütte des Wachwhers verkrochen hatte.
Starr vor Konzentration lag Lessa im Stroh der muffigen Käsekammer, die sie nachts mit den anderen Küchenmägden teilte. Es war etwas Zwingendes in der düsteren Vorahnung, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte. Sie nahm Verbindung mit dem Wachwher auf. Er machte seine Runden durch den Hof, die Kette so angespannt, daß sie ihm in den Hals schnitt.
Er war rastlos, aber er schien nichts Ungewöhnliches in der schwindenden Nacht zu bemerken. Lessa rollte sich zu einem winzigen Bündel zusammen. Sie preßte die Arme um den Oberkörper, um die verkrampften Schultern zu lockern. Dann, wäahrend sie sich entspannte, Muskel um Muskel, Gelenk um Gelenk, versuchte sie zu ertasten, welche subtile Drohung es sein mochte, die sie weckte, aber den überempfindlichen Wachwher unberührt ließ.
Die Gefahr lag bestimmt nicht innerhalb der Mauern von Ruatha. Sie näherte sich auch nicht vom gepflasterten Außenhof, wo die Grashalme unerbittlich durch den bröckeligen Mörtel drängten, grüne Zeugen der Verwahr-5
losung. Sie kam nicht den wenig benutzten Fußweg vom Tal herauf, und sie lauerte nicht in den Steinhütten der Handwerker am Fuße des Burgberges. Und sie roch nicht nach dem Wind, der von Tilleks kalten Gestaden herüberwehte. Dennoch durchfuhr sie scharf Lessas Sinne, vibrierte durch jeden Nerv ihres schmalen Körpers. Völlig wachgerüttelt, versuchte sie die Drohung zu identifizieren, bevor ihre Empfänglichkeit verflog.
Sie sandte ihre Gedanken bis zum Paß aus, weiter als sie sich je gewagt hatte. Auf Ruatha war die Gefahr nicht - noch nicht.
Und sie hatte nichts Vertrautes an sich. Also ging sie nicht von Fax aus.
Insgeheim war Lessa froh darüber, daß Fax sich seit drei vollen Planetendrehungen nicht mehr auf Ruatha gezeigt hatte.
Die schlampige Arbeit der Handwerker, die verwahrlosten Gehöfte, ja selbst die bemoosten Steine der Burg versetzten den selbsternannten Herrn des Hochlands so in Zorn, daß er darüber vergaß, weshalb er die einst stolze und reiche Burg erobert hatte.
Getrieben von dem Zwang die beklemmende Drohung zu
erforschen, suchte Lessa im Stroh nach ihren Sandalen. Sie erhob sich, bürstete mechanisch ein paar Strohhalme aus dem verfilzten Haar und schlang es im Nacken zu einem häßlichen Knoten. Sie stieg über die schlafenden Mägde hinweg, die sich der Kälte wegen dicht zusammendrängten, und huschte die ausgetretenen Stufen zur eigentlichen Küche hinauf. Der Koch und sein Helfer lagen auf dem langen Tisch vor dem Herd, die breiten Rücken dem schwach glimmenden Feuer zugewandt.
Sie schnarchten mißtönend. Lessa glitt durch die dunkle Küche auf die Tür zu, die in den Hof vor den Stallungen führte. Sie zwängte sich durch einen schmalen Spalt ins Freie Das Kopfsteinpflaster unter ihren Sohlen war eiskalt, und sie schauderte, als die Nachtluft ihre geflickten Kleider durchdrang.
Der Wachwher glitt zur Begrüßung herbei. Er bettelte wie 6
immer darum, freigelassen zu werden. Tröstend kraulte sie ihm die spitzen Ohren und versprach ihm, daß sie ihn bei Gelegenheit tüchtig abschrubben würde. Er zerrte wimmernd am Ende der Kette, als sie weiterging und den Wachtturm über dem massiven Burgtor erklomm.
Lessa starrte angestrengt nach Osten, wo sich die steinernen Brüste des Passes schwarz gegen das erste Licht der
Dämmerung abhoben. Unentschlossen wandte sie sich nach links, denn die Gefahr schien auch aus dieser Richtung zu kommen. Ihr Blick wurde von dem Roten Stern angezogen, der seit kurzem den Morgenhimmel beherrschte. Er sandte ein pulsierendes, rubinrotes Licht aus, bis die aufgehende Sonne seinen Glanz verblassen ließ.
Bruchstücke von Erzählungen und Balladen über die
Erscheinung des Roten Sterns kamen ihr in Erinnerung, zu rasch und zusammenhanglos, um einen Sinn zu ergeben.
Darüber hinaus fühlte sie instinktiv, dass die größere Drohung nicht im Nordosten, sondern im Osten lag. Sie sah starr in diese Richtung, als könnte sie durch beschwörende Blicke eine Brücke zu der Gefahr schlagen, die sie spürte. Und dann ließ die warnende Vorahnung sie los. Im gleichen Augenblick hörte sie das dünne Winseln des Wachwhers.
Lessa seufzte.
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