Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Teufel in der Weihnachtsnacht

Titel: Der Teufel in der Weihnachtsnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
Vom Netzwerk:
Herr, der hier direkt hinter der Girl Group mit ihren originellen bauchfreien Kostümen über den roten Teppich schreitet, ist der Papst. Er ist – genau wie der italienische Premier – eigens zu diesem gesellschaftlichen Anlass aus Rom eingeflogen. Herr Papst, Sie sind hier ja gewissermaßen der Hausherr. Was sagen Sie dazu, dass man dieses Jahr in Notre-Dame das Weihnachtsfest nicht mit der traditionellen Mitternachtsmesse begeht, sondern mit der Premiere eines neuen Musicals?»
    «Ich finde es furchtbar», wollte der Papst sagen, «und ich werde es nicht zulassen. Nicht in Notre-Dame, nicht im Kölner Dom und überhaupt nirgends. Wir werden nicht fusionieren und nicht kooperieren und keine Gummibuckel mit Notre-Dame-Schriftzug verhökern!»
    All das wollte er sagen. Aber auf unerklärlicheWeise war der rote Teppich plötzlich wieder zu einem roten Ferrari geworden, das Gewitter der Blitzlichter zu einem Wetterleuchten in weiter Ferne, und neben ihm saß der Teufel, der mit Vollgas zwischen zwei Schäfchenwolken durchsteuerte und kopfschüttelnd sagte: «Wirklich sehr schade. Nur schon das Lied des Glöckners hätte Ihnen Hunderte von Kircheneintritten gebracht. Die Melodie war schon bei Puccini ein Hit. Und die Zeile ist doch einfach toll: ‹I may stumble, I may lurch, but I love to go to church›.»
    Der Teufel drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch, und sie versanken in einem Wolkengebirge. Die wogenden Hügel stürzten von allen Seiten auf den Papst ein und wurden zu einem riesigen Sack, jawohl, zu genau so einem Sack, wie ihn der Nikolaus immer bei sich trägt, ein brauner Jutesack, prall gefüllt mit kandierten Früchten und Mandelsplittern und Marzipan und all den anderen Zutaten, aus denen SchwesterInnocentia ihre tonnenschwere Weihnachtsspezialität zusammenzurühren pflegte. Und dann war der Sack plötzlich ein Federbett, unter das der Papst mit dem Kopf geraten war, und er zappelte und prustete und strampelte und hatte sich endlich, endlich von dem Alpdruck befreit. Er schlug die Augen auf, und …
    «Schön, dass Sie wieder da sind», sagte der Teufel, der sich gerade eine Zigarette anzündete, ohne dafür einen Anzünder zu brauchen. «Wir werden schon erwartet.»
    «Erwartet? Wo?»
    «Nicht weit. Nur einen Mausklick von hier entfernt.» Der Teufel hatte statt der Gangschaltung plötzlich eine Maus in der Hand, ein graues, nein, gräuliches Ungeheuer mit rotglühenden Augen, die den Papst hämisch anzugrinsen schienen.
    «Apage, Satanas!», flüsterte der ganz automatisch, aber der Teufel und seine Maus schüttelten nur synchron die Köpfe.
    «Damit hat man vielleicht im Mittelalter was erreicht», sagte der Teufel fast mitleidig – oder war es die ebenso spitzzahnige Maus, die da sprach? –, «aber doch nicht mehr heute im Zeitalter der Elektronik.» Er drückte auf die Maus, die Maus piepste, und schon bog der Ferrari von der Milchstraße ab und fädelte auf der Datenautobahn zwischen mit Lichtgeschwindigkeit dahinrasenden Bytes wieder ein. Teufel haben immer Vorfahrt.
    Der Papst – und wieder wunderte er sich, dass er sich darüber nicht wunderte – trug jetzt einen weißen Overall und einen gleichfarbenen Schutzhelm. Überhaupt waren alle Leute in dem Labor, vor dem der teuflische Ferrari ihn ausgeladen hatte, so gekleidet. Sogar die Maus trug einen Overall und sah darin so disneyhaft niedlich aus, dass der Papst vor Schreck fast aufgewacht wäre.
    In der Mitte des Raumes, der für die mit solchen Dingen unvertrauten Augen des PontifexMaximus aussah wie eine Mischung aus Baustelle und Operationssaal, war eine Fläche mit roten Samtkordeln abgetrennt. Von Scheinwerfern angeleuchtet, stand dort auf einem kleinen Podest ein mit einem weißen Tuch abgedecktes Etwas. ‹Eine Statue, die ich enthüllen soll›, dachte der Papst und fühlte sich gleich wohler. Auf seinen Weltreisen hatte er schon an vielen solchen Enthüllungen teilgenommen. Meistens hatte es sich dabei allerdings um Gedenktafeln gehandelt, deren einziger Zweck darin bestand, der Tatsache zu gedenken, dass sie vom Papst persönlich enthüllt worden waren.
    «Ich habe hier eine Statistik», sagte der Teufel, und wieder ließ er einen langen Computerausdruck wie eine Prozessionsfahne durch den Raum flattern, «über die Personalprobleme der Kirche. Danach ist der Nachwuchsmangel im Priesterberuf ein drängendes und bisher völlig ungelöstes Problem. Ich freue mich, Ihnen eine Lösung anbieten zu können, die diese

Weitere Kostenlose Bücher