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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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fast immer weniger Erhebung bringt als die Hoffnung und die Freude darauf.
    Wie ich die letzten Tage in meinem schönen Haus in Sanary verbracht habe, das kann ich also, wie gesagt, nicht im einzelnen angeben. Aber das weiß ich, daß es keine angenehmen Tage waren, daß ein Rahmen von Unbehagen um alles war, was ich in jenen Tagen sah, hörte, sprach, dachte, lebte.
    Ich habe während der sieben Jahre meines Aufenthalts an der französischen Küste des Mittelmeers die Schönheit der Landschaft und die Heiterkeit des Lebens dort mit allen Sinnen genossen. Wenn ich etwa, von Paris mit dem Nachtzug zurückkommend, des Morgens das blaue Ufer wiedersah, die Berge, das Meer, die Pinien und Ölbäume, wie sie die Hänge hinaufkletterten, wenn ich die aufgeschlossene Behaglichkeit der Mittelmeermenschen wieder um mich fühlte, dann atmete ich tief auf und freute mich, daß ich mir diesen Himmel gewählt hatte, unter ihm zu leben. Und wenn ich dann den kleinen Hügel hinauffuhr zu meinem weißen, besonnten Haus, wenn ich meinen Garten wiedersah in seiner tiefen Ruhe und mein großes, helles Arbeitszimmer und das Meer davor und den launischen Umriß seiner Küste und seiner Inseln und die endlose Weite dahinter und wenn ich meine lieben Bücher wieder hatte, dann spürte ich mit all meinem Wesen: hier gehörst du hin, das ist deine Welt. Oder wenn ich etwa den Tag über gut gearbeitet hatte und mich nun in der Stille meines abendlichen Gartens erging, in welcher nichts war als das Auf und Ab des Meeres und vielleicht ein kleiner Vogelschrei, dann war ich ausgefüllt von Einverstandensein, von Glück.
    Von dem Augenblick an indes, da ich damit rechnen mußte, ein zweites Mal interniert zu werden, verlor mir die Landschaft ihre Farbe, mein ganzes Leben seinen Geschmack. Es war dabei noch gar nichts entschieden, aber innerlich wußte ich, daß alles entschieden war, und die peinigende Erwartung dessen, was da kommen wird, zerstörte die Fähigkeit, das, was da war, noch zu genießen. Wohl arbeitete ich. In jahrzehntelangem Training hatte ich mir die Fähigkeit erworben, mich, was immer geschehen mochte, während meiner Arbeit auf diese Arbeit zu konzentrieren. Gemeinhin waren überdies, wenn ich mit einem Werk beschäftigt war, nicht nur die Stunden der Arbeit, sondern mein ganzes Leben erfüllt von diesem Werk, dergestalt, daß ich automatisch alles, was ich sah, hörte, las, lebte, auf das Werk bezog. Jetzt aber verließ mich der Gedanke an meine Arbeit in dem Augenblick, da ich zu arbeiten aufhörte, und statt meines Werkes war die Erwartung wieder da dessen, was da kommen wird.
    Ich habe oft meine Katzen beobachtet, während sie fraßen. Sie kauerten und schleckten gierig, aber sie waren immer auf der Hut, niemals verließ sie das ererbte Gefühl, von Gefahren umgeben zu sein. Ganz tief innen steckt wohl in uns allen ein solches Gefühl ständigen Bedrohtseins; wir haben es nur verdrängt, wir haben uns die Angst abgewöhnt. Damals indes, in jenen Tagen der Erwartung, fühlte ich wie meine Katzen. Wenn ein Wagen den kleinen Hügel herauffuhr, wenn jemand kam, immer glaubte ich: jetzt kommen sie, jetzt holen sie dich.

    Meine Sekretärin konnte sich nicht enthalten, zu klagen: »Ach, warum sind wir nicht rechtzeitig nach Amerika gegangen.« Gemeinhin hasse ich solche Erwägungen, Grübeleien darüber, was man hätte tun und was man hätte lassen sollen, sie führen zu nichts. Immerhin war ein solcher Ausbruch gerade in unserm Falle erklärlich.
    Seit Kriegsbeginn zwar war es nicht mehr in meinem Belieben gestanden, das Land zu verlassen; die französische Regierung hatte es mir nicht erlaubt. Aber ich hatte ja den Krieg schon lange vorher kommen sehen. Im Februar 1938, unmittelbar nach der Annexion Österreichs, hatte ich mich ernstlich mit dem Gedanken getragen, in ein Land zu übersiedeln, das mehr Sicherheit bot als Frankreich. Meine Sekretärin hatte ganz recht, wenn sie jetzt darüber jammerte, daß ich damals meine Absicht nicht wahrgemacht hatte.
    Was waren eigentlich die Gründe gewesen, die mich in Frankreich gehalten hatten? Da war zum Beispiel dieses. Seit 1933 hatte ich öffentlich erklärt, Hitler bedeute Krieg, ohne Krieg werde man die Nazis nicht los werden. Durfte ich jetzt, nun endlich dieser Krieg in Sicht kam, in dem, wenn irgendwer, ich Partei war, ausreißen, mich in Sicherheit bringen? Nein, ich hatte zu bleiben. Ich glaubte ernstlich, ich könne helfen. Ich hatte schließlich Millionen Leser in

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