Der Teufel in Frankreich
achtundvierzigjährigen Malers R. sei, er konnte die Zusammengehörigkeit nicht herausfinden, er konnte überhaupt nichts herausfinden, er plagte sich ab. Schließlich riefen wir den Sekretär, daß er ihm helfe.
Am nächsten Tag dann fuhren wir ins Lager, in einem Taxi.
Ich erinnere mich genau des unsentimentalen Abschieds von meiner Frau. Wir waren alle beschäftigt, in der schäbigen, alten Droschke das Gepäck zu verstauen; meine Frau erklärte, sie müsse noch Papier holen, um irgend etwas besser einzuwickeln, und lief ins Haus zurück; mit solcher Geschäftigkeit waren die letzten Minuten ausgefüllt.
Unterwegs wurden wir von Gendarmen angehalten und mußten unsere Passierscheine vorweisen. Der Sekretär und der betrunkene Gendarm hatten auf diesen Formularen die Frage nach dem »Zweck der Reise« beantwortet: »Ausführung eines Regierungsauftrags«. Die kontrollierenden Gendarmen schauten uns an, schauten sich an, merkten, was das für ein Regierungsauftrag war, sagten bedauernd: »Aha«, grüßten mit verlegenem Mitleid und wünschten uns viel Glück.
Wir kamen nach der Stadt Aix, nach dem Orte Les Milles, wir durchfuhren ihn, wir fuhren die niedrige Mauer der Ziegelei entlang, die uns aufnehmen sollte, hielten auf der staubigen Landstraße vor dem großen Tor. Unmittelbar hinter dem Gitter war ein kleines Wachgebäude. Einige Uniformierte standen und hockten herum. Ich lohnte den Chauffeur ab und trug ihm Grüße an meine Frau auf.
Die Uhr auf dem Hauptgebäude der Ziegelei zeigte fünf Uhr zwei. Ich notierte innerlich, daß also die erste Minute nach fünf Uhr am 21. Mai die letzte Minute gewesen war, die ich in Frankreich in Freiheit verbracht hatte.
Ich schickte mich an, mein Gepäck über den Hof zur Anmeldestelle zu schleppen. Ich bin nicht sehr gewandt in diesen Dingen, und ich wußte einfach nicht, wie ich es anstellen sollte, den großen Koffer und den kleinen und die Decken und den Klappstuhl die fünfzig oder sechzig Meter zu tragen. Ich klemmte den Klappstuhl unter den linken, die Decken unter den rechten Arm, nahm den großen Koffer in die linke, den kleinen in die rechte Hand. Aber da fielen die Decken herunter, ich mußte alles abstellen, um sie von neuem unter den Arm zu nehmen, und als ich glücklich alles wieder beisammen hatte, fiel der Klappstuhl herunter. Die Soldaten schauten zu, ernsthaft, stumpf, ungerührt. Der Sergeant sagte: »Also los endlich, allez hop.« Ich war recht unglücklich. Das war um fünf Uhr zwei.
Um fünf Uhr drei aber war ich sehr glücklich. Über den Hof nämlich auf mich zu kamen ein paar Burschen, ich erinnerte mich nicht ihrer Namen, wohl aber ihrer Gesichter, sie waren mit mir hier in Les Milles gewesen, als ich das erste Mal eingesperrt gewesen war, sie ließen sich nicht abschrecken von den Wachen, die ihnen zuriefen: »Zurück, zurück«, und die Wachen nahmen es wohl auch nicht so ernst. Die Burschen aber sagten: »Hallo, sind Sie wirklich wieder hier? Das hätten wir uns auch nicht träumen lassen«, und sie bemächtigten sich meines Gepäcks und trugen es zum Anmeldebüro.
Dort gab es zunächst einige Schreiberei. Dann wurde das Gepäck untersucht, nicht sehr ernst. Der Leutnant, der das Büro befehligte, ein Industrieller aus Lyon, ein eleganter Herr mit angegrauten Haaren, gewöhnlich etwas müden Gesichtes, begrüßte mich höflich, bat mich ins Büro, befragte mich um meine Meinung über die politische und militärische Lage, bedauerte, daß die Umstände die Regierung zwängen, uns von neuem einzusperren, hoffte, daß es auch diesmal nicht lange dauern werde.
Dann, wieder am Anmeldeschalter, wurde ich ge fragt, wieviel Geld ich bei mir hätte. Ich zögerte ein wenig. Der Sergeant sagte: »Geben Sie ruhig den richtigen Betrag an. Wir funktionieren hier lediglich als Bank, Sie können jederzeit wiederhaben, was Sie wollen. Es wird in einem solchen Lager viel gestohlen. Sie deponieren Ihr Geld besser bei uns, statt es immer mit sich herumzuschleppen.« So machte ich es dann auch. Das war falsch, wie sich später erwies; denn man bekam von seinem Gelde nur jeweils kleine Summen zurück, in großen Zeitabständen und nur nach Eingaben und vielerlei Bemühungen.
Dann, dies alles erledigt, bekam ich eine Nummer zugewiesen, ich war No. 187. Das blieb ich von da an.
Der kleine Ort Les Milles ist häßlich, doch die Landschaft ringsum ist sanft und lieblich; hügeliges Gelände, blau und grün, kleine, sanfte Flüsse, alte Landgüter, Ölbäume,
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