Der Teufel trägt Prada
Im Geiste ging ich schnell alle kritischen Punkte durch. Nichts fehlte, nichts stand an der falschen Stelle oder auf der falschen Seite, nichts war falsch zubereitet. Was hatte sie bloß?
»Äh, nun ja, äh, das ist Ihr Lunch«, sagte ich leise. Es kostete mich eine fast übermenschliche Anstrengung, nicht sarkastisch zu klingen. »Stimmt etwas nicht?«
Der Gerechtigkeit halber muss ich wohl zugeben, dass sie nur den Mund aufmachte, aber in meinem halb weggetretenen Zustand kam es mir so vor, als ob sie bluttriefende Reißzähne bleckte.
»Stimmt etwas nicht?«, äffte sie mich mit einer Quietschstimme nach, die nicht im Geringsten nach mir, ja nicht einmal menschlich klang. Sie kniff die Augen zu Schlitzen zusammen und beugte sich vor. »Jawohl, es stimmt etwas nicht. Etwas stimmt ganz und gar nicht. Können Sie mir erklären, weshalb ich DAS HIER auf meinem Schreibtisch vorfinden muss?«
Ich verstand nur Bahnhof. Wollte sie mir vielleicht ein Rätsel aufgeben? Gute Frage eigentlich, weshalb sie DAS DA auf ihrem Schreibtisch vorfinden musste. Dass sie den Lunch vor einer Stunde bestellt hatte, konnte offensichtlich nicht die korrekte Antwort sein. Aber eine andere hatte ich nicht auf Lager. Ob ihr das Tablett nicht gefiel? Nein, das war nicht möglich: Sie hatte es schon x-mal gesehen und sich noch nie darüber beschwert. Hatten sie ihr versehentlich das falsche Fleisch geschickt? Nein, das war es auch nicht. Als mir das Restaurant einmal ein wunderschönes Filet mitgegeben hatte, weil der Koch
dachte, es würde ihr besser munden als das zähe Ribeye-Steak, hätte sie bei dem Anblick fast eine Herzattacke bekommen. Sie hatte mich gezwungen, den Koch anzurufen und ihn zur Minna zu machen, während sie daneben stand und mir die Beschimpfungen in den Mund legte.
»Es tut mir Leid, Miss. Bitte verzeihen Sie mir«, sagte er leise. Er hörte sich an wie der liebste Mensch der Welt. »Es ist meine Schuld. Ich dachte mir, eine gute Kundin wie Ms. Priestly hätte nur das Beste verdient. Ich habe ihr auch nichts extra dafür berechnet. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass es nie wieder vorkommen wird. Mein Wort darauf.« Ich hätte fast geheult, als ich ihm sagen musste, dass er eine Niete sei und bis an sein Lebensende als Koch in einer zweitklassigen Steakbraterei versauern werde. Er hatte sich noch einmal entschuldigt und ›mir‹ Recht gegeben. Von dem Tag an hatte Miranda stets ihr blutiges Ribeye bekommen. Daran konnte es also auch nicht liegen. Ich hatte keine Ahnung, was ihr nicht passte.
»Aan-dreh-aa. Hat Mr. Ravitz’ Assistentin Ihnen nicht gesagt, dass wir zusammen in der grässlichen Cafeteria lunchen?«, fragte sie bedächtig, als ob sie nur mit größter Mühe die Beherrschung bewahrte.
Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Die Hetze, die Sebastianschmeicheleien, die Gardinenpredigt, das 95-Dollar-Essen, das Tiffany-Geträller, das Tablettarrangement, die Schwindelgefühle, der Hunger, die Warterei – das war alles für die Katz gewesen?
»Äh, nein, sie hat nicht angerufen. Dann heißt das also, ich kann abräumen?«, fragte ich und deutete auf das Tablett.
Sie sah mich an, als ob ich ihr vorgeschlagen hätte, eine ihrer Töchter zu fressen. »Was denken Sie denn, was es heißt, Emily?« Schade, nachdem sie meinen Namen die ganze Zeit so gut hingekriegt hatte.
»Ich denke, das heißt, ich kann abräumen.«
»Ich bin beeindruckt, Emily. Was für ein Glück für mich, dass
Sie mit so einer raschen Auffassungsgabe gesegnet sind. Schaffen Sie das Essen weg. Und dass mir so etwas ja nicht noch einmal vorkommt. Das wäre alles.«
Einen Augenblick lang fühlte ich mich wie in einen Hollywoodfilm versetzt. Ich sah die Szene direkt vor mir, in der ich mit einer schwungvollen Geste das Tablett mitsamt dem Essen vom Schreibtisch fegte. Durch diese Tat zur Besinnung gebracht, würde sie sich reumütig bei mir dafür entschuldigen, so verächtlich mit mir geredet zu haben. Aber das ungeduldige Trommeln ihrer Fingernägel auf der Schreibtischplatte holte mich schnell wieder in die Realität zurück. Ich nahm das Tablett an mich und ging hinaus.
»Aan-dreh-aa! Schließen Sie die Tür. Ich muss mich einen Augenblick sammeln«, rief sie mir nach. Schon klar, dieser Schock, plötzlich einen Feinschmeckerlunch serviert zu bekommen, den man auch noch persönlich bestellt hatte, wollte erst mal verkraftet werden.
In diesem Moment kam Emily vom Kiosk zurück. Damit ich nicht aus den Pantinen kippte, hatte
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