Der Teufelsfürst
Sakirdi – des Eunuchenlehrers – zu lauschen. Genau wie alle anderen Augenpaare im Raum zuckte auch das des Eunuchen in seine Richtung, als er aufsprang und sich nach dem nächsten Ausgang umsah. Näher als die Tür, aber weitaus schmaler und hoch über dem Boden gelegen, lockte eine Reihe Arkadenfenster, durch welche die schwache Februarsonne hereinfiel. »Vlad!« Das Entsetzen seines kleinen Bruders ließ Vlad alles Zaudern vergessen. Achtlos fegte er Wachstafel und Griffel auf den Boden. »Was erlaubst du dir?«, fauchte der Koranlehrer ihn an. »Dafür wirst du bestraft!« Doch Vlad machte sich nicht einmal die Mühe, die Schultern zu zucken, da die Bestrafung durch den entmannten Enderum Sakirdi vor dem verblassen würde, was ihm sein Handeln ohne Zweifel einbringen würde. »Bleib hier, du kleiner Teufel!«, drang eine weitere, wesentlich tiefere Stimme von draußen an sein Ohr.
Vlad biss die Zähne aufeinander, ehe er auf eines der Fenster zueilte. Ohne zu zögern, flankte er über den niedrigen Sims und spannte die Muskeln, um den Aufprall auf dem festgetrampelten Gras aufzufangen. Dennoch schoss ihm ein stechender Schmerz in die Glieder, und er sackte mit einem unterdrückten Stöhnen in die Knie. »Dafür werde ich dich auspeitschen lassen«, zischte es unweit von ihm. »Komm sofort da runter!« »Nein!« Trotz der mehr als ernsten Lage verzog Vlad den Mund zu einem grimmigen Lächeln. Sein Bruder machte offenbar der sprichwörtlichen Sturheit seines Volkes alle Ehre. Ein Wutschrei und das Geräusch eines Schlages ließen ihn zusammenfahren und an der Wand der Iç Oğlan – der Schule der Pagen – entlanghasten. Bereits nach wenigen ausgreifenden Schritten erreichte er einen Durchgang, hinter dem sich in einem kleinen Gärtchen eine unglaubliche Szene abspielte.
Auf einem knorrigen Feigenbaum thronte der schmächtige Radu, dessen dunkles Haar ihm wirr in die Stirn hing.
Seine Kopfbedeckung, eine weiße Kappe, lag am Fuß des Baumes, auf dessen Stamm Prinz Mehmet mit einem Krummschwert einhieb. Das rundliche Gesicht des königlichen Sprosses war wutverzerrt und in seinen Augen glomm der gefährliche Funke des Jähzorns. Er blutete aus einer Wunde am Unterarm, die – so nahm Vlad an – Radu ihm beigebracht hatte. »Wenn du nicht freiwillig kommst«, keuchte Mehmet, »dann werde ich dich eben holen.« Er schwang erneut das Schwert und winzige Holzsplitter flogen in alle Richtungen.
»Vlad!«, heulte Radu, als er den Bruder erblickte, der heftig atmend von einem zum anderen sah. »Er wollte mir …« Seine Stimme erstarb in einem Wimmern, als sich der Baum unter ihm mit einem gefährlichen Knarren bewegte. Auch wenn er wusste, dass es Wahnsinn war, schluckte Vlad die eigene Furcht und stürzte sich auf den Prinzen, um diesem die Waffe zu entwinden. Da er den Gleichaltrigen um einen halben Kopf überragte, gelang ihm das auch mühelos. Aber als er ausholte, um Mehmet einen Faustschlag zu versetzen, wurde er von hinten zu Fall gebracht. Ohne dass er es gemerkt hatte, waren ihm vier Janitscharen in den Rücken gelangt, in den sich wenig später ein erbarmungsloses Knie bohrte. Ehe er sich versah, zerrten ihn zwei der königlichen Leibwächter zurück auf die Beine, fesselten ihn und packten ihn derb am Kragen. Mehmet, dessen Interesse nun ihm galt, wischte sich angeekelt die Hand ab, an der Vlad ihn berührt hatte, und spuckte vor dem jungen Walachen aus. »Das hättest du nicht tun sollen«, knurrte er gefährlich ruhig. »Niemand darf den Sultan ohne Erlaubnis berühren!« Vlad schnaubte verächtlich, als er spürte, wie sich die Janitscharen hinter ihm versteiften. »Ihr seid nicht mehr Sultan«, versetzte er abfällig. »Habt Ihr etwa schon vergessen, dass Euer Vater Euch wieder abgesetzt hat?« Eine schwarze Wolke des Hasses zog in Mehmets Augen auf, und einen Augenblick lang dachte Vlad, er würde ihm auf der Stelle den Kopf abschlagen. Doch das wäre ein viel zu schneller Tod gewesen. Einige qualvolle Momente lang schwieg der Prinz, dann schürzte er geringschätzig die Lippen und schluckte die Demütigung, welche die Erinnerung an sein Versagen ihm zweifelsohne bereiten musste. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe und gab zwei Janitscharen zu verstehen, Radu aus dem Baum zu holen. Da in Anbetracht der Lage jeglicher Widerstand zwecklos war, ließ sich der Knabe von den Soldaten wie eine reife Frucht pflücken und vor Mehmet zu Boden werfen.
Dieser blickte auf ihn hinab, als sei
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