Der Teufelsfürst
schmutzigsten, niedrigsten Bediensteten des Sultans? Er presste die Lider aufeinander, um zu verhindern, dass Tränen der Ohnmacht in ihm aufstiegen. Schlaff und willenlos ließ er sich von dem Gehilfen des Kerkermeisters die Fesseln lösen und die rostigen Ketten anlegen, die so kurz waren, dass er sich nicht einmal auf dem Boden ausstrecken konnte. Sobald der Bursche seine Aufgabe erledigt hatte, wandte er sich zum Gehen und verriegelte die Tür hinter sich.
Allein mit seiner Furcht und der undurchdringlichen Finsternis ignorierte Vlad den Schmerz in seinen Schultergelenken und ließ sich – mit dem Rücken an der feuchten Wand – in die Hocke gleiten. Bebend vor Kälte und in dem Bewusstsein, dass ihm die vermutlich furchtbarste Bestrafung seines Lebens bevorstand, schluckte er mühsam und begann zu beten. Stunden schienen im stillen Zwiegespräch mit Gott vergangen zu sein, als ihn ein Geräusch aus den Tiefen des Kerkers aufschreckte.
Mit hämmerndem Herzen rappelte er sich auf und wollte nach der Drachenspange tasten, die er für gewöhnlich auf der Brust trug. Doch selbst wenn die Ketten die Bewegung nicht verhindert hätten, hätte seine Hand ins Leere gegriffen. Denn er hatte das Kleinod in der Madrasa zurückgelassen. Als ihm klar wurde, dass der goldene Drache wahrscheinlich von dem erzürnten Eunuchen eingesteckt worden war, traf ihn der Verlust mit einer Heftigkeit, die in keinerlei Verhältnis zum Wert des Schmuckstückes stand. Während sich schwere Schritte seinem Gefängnis näherten, stieg eine solch überwältigende Trauer in ihm auf, dass ihm die Kehle eng wurde und sein Herz sich krampfhaft zusammenzog. Nicht einmal die Tatsache, dass sich die Schritte vor der Tür wieder entfernten, konnte die Leere vertreiben, die sich in ihm ausbreitete. Schonungslos hämmerte sein Verstand ihm ein, dass das Verlieren des Drachen das Schlimmste war, was ihm in seiner Lage passieren konnte. »Warum hast du mich verlassen, Herr?«, fragte er in die Stille. »Habe ich nicht allen Versuchungen der Ungläubigen widerstanden? Habe ich nicht alles getan, um Deinen Namen zu heiligen?« Er kauerte sich erneut an der Wand zusammen und starrte blicklos in die undurchdringliche Finsternis. Diese schien ihn zu belauern wie ein zum Sprung bereites Tier und ihn mit Tausenden von toten Augen anzuglotzen. Ein weiteres Geräusch aus der Dunkelheit ließ ihn aufhorchen. Es dauerte einige Zeit, bis er begriff, dass es seine eigenen Zähne waren, die immer heftiger aufeinanderschlugen. Von totaler Dunkelheit umgeben und in Erwartung unendlicher Qualen schloss er schließlich die Augen und versuchte, die entsetzliche Angst im Zaum zu halten. »Ich bin der Fürst der Finsternis«, flüsterte er irgendwann, als ihm bereits die Glieder abstarben. »Der Fürst der Finsternis.« Er kämpfte gegen die heißen Tränen an, die immer unaufhaltsamer in ihm aufstiegen. War es nicht das gewesen, was seine Mutter ihm immer erzählt hatte, wenn er sich als Knabe vor der Dunkelheit gefürchtet hatte? Gotteslästerlich, das wusste er inzwischen. Aber so unglaublich tröstend. »Stell dir einfach vor, du wärest der Fürst, dem alle Geschöpfe der Nacht gehorchen müssen«, hatte sie gesagt und ihm mit ihrer warmen, weichen Hand die Wange gestreichelt. »Dann brauchst du dich nicht zu fürchten.« Er biss sich auf die Lippe, als ein Schluchzen ihm die Luft zu nehmen drohte. In der Hoffnung, der Schmerz würde die Schwäche vertreiben, grub er die Zähne so heftig in das Fleisch, dass er schon bald Blut schmeckte. Er musste sich zusammenreißen! Wenn er aufgab, wer würde dann auf seinen Bruder achten? Wer würde stark sein für Radu, dessen Seele vielleicht noch zu retten war?
Kapitel 2
Ulm, ein Stadthaus, Februar 1447
Es war ein lang gezogenes, hohes Wimmern – eher wie das Jaulen eines Hundes – das Zehra von Katzenstein aus dem Schlaf riss. Verwirrt blinzelnd streifte sie die letzten Bilder des Traumes ab, dessen wohlige Wärme sie immer noch erfüllte, und zog die Decke höher, als könne der dünne Stoff sie vor etwaiger Gefahr schützen. Klagend und schmerzvoll zugleich schien der Laut von überall gleichzeitig zu kommen, schien einerseits durch die halb geöffneten Läden hereinzudringen, andererseits in den Tiefen des Hauses zu entstehen. Heftig atmend lauschte die Vierzehnjährige in die Düsternis ihrer Kammer, doch schon wenig später war das Geräusch ihres rasenden Herzens das Einzige, das die plötzlich einsetzende Stille
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