Der Teufelsfürst
ihr ein Schrecken ins Mark, dessen Heftigkeit ihr die letzte Kraft zu rauben drohte. Immer und immer wieder versuchte sie, die Lider nach unten zu zwingen, aber genauso oft widerstanden diese ihren fruchtlosen Versuchen. »Heilige Mutter Gottes, hilf mir«, flehte sie und ließ sich widerstandslos von Martin zur Seite schieben, der schließlich bewerkstelligte, was ihr nicht gelungen war.
Nachdem er auch den Mund des Toten geschlossen hatte, befahl er einer der Mägde: »Öffne das Fenster, damit seine Seele in den Himmel entweichen kann.« Kaum hatte das Mädchen den Befehl ausgeführt, drang die Kälte der Februarnacht in den Raum, dessen Kachelofen nur noch wenig Wärme verbreitete. Fröstelnd schlang Zehra die Arme um sich, während sie fassungslos dabei zusah, wie Martin einige weitere Kerzen entzündete und Anweisungen gab. »Dein Bruder schickt nach dem Priester«, setzte der Verwalter die junge Frau in Kenntnis. Irgendjemand hatte ein wollenes Obergewand aus ihrer Kammer geholt, das Martin ihr entgegenstreckte. »Zieh das an. Es nützt niemandem, wenn du krank wirst.« Die Nüchternheit in seiner Stimme brach den Bann, unter dem Zehra stand. Fast war sie dankbar dafür, ihm gehorchen zu können.
Irgendwie schien seine Ruhe sich auf sie zu übertragen und die Situation trotz allen Grauens zu etwas zu machen, das sie würde meistern können. Wie, wusste sie noch nicht. Aber irgendwie würde diese furchtbare Nacht vorübergehen, und dann würde das Leben weitergehen wie vorher. Der Gedanke befremdete sie selber, doch war er der einzige Strohhalm, an den sie sich im Moment klammern konnte. Ihr Vater war tot!
Sie schlug die Hände vor den Mund. Tot! Wie war das möglich? Er, der immer stark und unverletzbar gewirkt hatte! Als Tränen in ihre Augen schossen, trat sie von dem Bett zurück und floh in die angrenzende Hauskapelle, auf deren Altar ein vergoldetes Kruzifix prangte.
Weinend sank sie auf die Kniebank nieder und presste die Handflächen im Gebet aneinander. »Barmherziger Vater«, hauchte sie, »nimm seine Seele gnädig auf. Lass ihn ein in dein Himmelreich, denn er war frei von Sünde.« Ihre Stimme verstummte, als ihr ein beängstigender Gedanke kam. War er das?
War ihr Vater wirklich ohne Sünde gewesen, als seine Seele die sterbliche Hülle seines Körpers geflohen hatte? Hatte er in letzter Zeit die Beichte abgelegt? Die Vorstellung, was andernfalls geschehen konnte, ließ sie erzittern. Deshalb hoffte sie inständig, der Priester möge bereits eingetroffen sein. Sie umklammerte ein kleines Silberkreuz an ihrem Hals und führte es an die Lippen. Gewiss war es möglich, einen Ablass von ihm zu kaufen, der sicherstellte, dass ihr Vater keinen einzigen Tag im Fegefeuer zubringen musste! Sie hob den Blick zu dem kleinen Altarbild und versank erneut im Gebet. Lange Zeit versuchte sie, das Gefühl der Enge in ihrer Brust, den immer stärker anschwellenden Schmerz zu verdrängen. Doch irgendwann gewann dieser die Überhand, und sie ließ ihrer Trauer freien Lauf. Es hatte keinen Zweck, sich vorzumachen, dass das Leben jemals wieder so sein würde wie vorher! Wie konnte es das? Während ihr Körper von haltlosem Schluchzen geschüttelt wurde, sackte sie in sich zusammen, bis sie schließlich wie ein Kind auf dem Boden kauerte. Derweil längst vergessen gewähnte Bilder vor ihrem inneren Auge auftauchten, marterte sie sich mit der Frage, warum sie nicht bei ihm hatte sein können. Warum Gott ihr versagt hatte, ihm beizustehen, ihren Geist mit dem seinen zu verbinden – wie sie es so oft im wortlosen Gespräch getan hatten – und ihn auf diesem schwersten aller Wege zu begleiten. »Warum, Herr?«, flüsterte sie und schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund.
Irgendwann, es schienen Stunden vergangen zu sein, drang das Schlagen einer Tür im Untergeschoss wie aus weiter Ferne an ihr Ohr. Am ganzen Leib taub, richtete sie sich mühsam auf und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen. Stimmen und das Trampeln schwerer Winterschuhe verkündeten die Ankunft mehrerer Männer. »Hier hinein, Pater«, hörte Zehra ihren Bruder Utz sagen. »Ich fürchte, Ihr kommt zu spät«, beschied Martin mit einem Seufzen. Zehra zwang sich, aufzustehen und sich erneut dem furchtbaren Anblick zu stellen.
Nachdem sie einige Male tief Luft geholt hatte, strich sie sich eine Strähne aus der Stirn und trat zögernd über die Schwelle der Hauskapelle. Im Nebenraum beugte sich der Pater gerade über ihren Vater und legte ihm
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