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Der Thron der Welt

Der Thron der Welt

Titel: Der Thron der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Lyndon
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bei einem Becher Gesellschaft leisten?»
    «Zu freundlich», sagte Fyodor. Er hob seinen Becher. «Auf unser gemeinsame Unternehmung.»
     
    Wayland und Syth standen unter der Zentralkuppel der Sophienkathedrale, hielten sich wie Kinder an der Hand und bestaunten das gewaltige Deckenmosaik von Christus dem Weltenherrscher, den vier Erzengeln umgaben. Sie waren in die Kathedrale geraten, nachdem sie sich im Straßengewimmel von Kiew verirrt hatten, und nun war Wayland vor Ehrfurcht erstarrt. Jedes Detail in dieser Kathedrale war in der Absicht gestaltet worden, ihn daran zu erinnern, dass sein Schöpfer prüfend auf ihn herniedersah. Die Heiligen, die auf jedem Fleckchen glatter Wand in Mosaiken und Fresken dargestellt waren, verfolgten ihn mit ihren Blicken. Wenn er sich bewegte, wurde das Geräusch seiner Schritte durch die Nischen, die wie Resonanzkammern in die Wände gemauert worden waren, verstärkt zurückgeworfen.
    Dann begann ein Chor zu singen. Den Worten des Vorsängers folgte jeweils ein mehrstimmiger Antwortgesang.
    Syth drückte Waylands Arm. «So muss es im Himmel sein.»
    «Ich weiß nicht, ob ich die Ewigkeit damit verbringen will, Heiligenbilder anzuschauen und einen Chor singen zu hören.»
    «Wie sollte denn dein Himmel aussehen?»
    «Er würde sich nicht sehr von dem Leben auf der Erde unterscheiden, nur dass niemand unter Hunger, Armut und Unterdrückung leiden müsste.»
    «Und wäre Raul dort? Vallon? Der Hund?»
    «Das hoffe ich.»
    «Aber Raul war ein Sünder. Vallon hat seine Frau ermordet. Und Hunde haben keine Seele.»
    «Ich wäre aber lieber mit ihnen zusammen als mit einer Bande Heiliger, ganz gleich, wo sie am Ende landen.»
    Syth zwickte ihn. «Schsch! Gott wird dich hören, und dann kommst du in die Hölle.»
    «Mir egal.»
    Syth dachte darüber nach. «Stell dir vor, wir wären gestorben, und ich dürfte in den Himmel, aber du würdest in die Hölle geschickt. Das wäre sinnlos, weil es ohne dich für mich kein Himmel wäre.»
    «Genau das meine ich. Du müsstest mit mir im Fegefeuer braten.»
    «Red nicht so. Du machst mir Angst.» Sie stellte sich dicht neben ihn. «Einer von den Priestern beobachtet uns.»
    Es war ein junger Mann mit gütigem Gesichtsausdruck. Als Wayland ihn ansah, wurde sein Lächeln breiter, und er kam auf sie zu. Wayland nahm Syth am Arm und ging mit ihr in Richtung Pforte. Der Priester rief nach ihnen und begann schneller zu gehen. Darauf wurde auch Wayland schneller, und als der Priester es ihm gleichtat, begann er zu rennen. Mit klatschenden Schritten hasteten Syth und er über den Marmorfußboden auf eine der großen Bogentüren zu, stürzten ins Freie und verschwanden in der Menge, als das Echo von Syths Lachen noch in der Kathedrale hing.
     
    Die beiden Lotsen waren Brüder, sehnige Männer mit Gesichtern wie Trockenfeigen. Der eine hieß Igor, der andere Kolzak. Igor musste irgendeine Verletzung erlitten haben, die sein Gesicht in wirre Falten absacken ließ, wenn er die Muskulatur entspannte. Es wirkte, als seien die Sehnen durchschnitten worden, die seine Mimik steuerten. Die Männer standen vor Vallon und Hero, doch ihre Blicke irrten immer wieder zu Fyodor hinüber.
    «Wie gut kennt ihr den Fluss?», fragte Hero.
    «Wir fahren seit unserer Kindheit auf dem Dnjepr», erwiderte Kolzak. «Vor uns war unser Vater Lotse und sein Vater vor ihm. Wir kennen jeden Stein und jeden Strudel, jeden Felsvorsprung und jede Stromschnelle.»
    «Wie weit erstrecken sich die Stromschnellen?»
    «Über fünfzig, sechzig Werst», sagte Kolzak schulterzuckend, um anzudeuten, dass die Länge der Stromschnellen nicht das größte Problem war.
    Etwa dreißig Meilen, rechnete Hero. «Also dauert es mehr als ein oder zwei Tage, um durchzukommen.»
    Die Lotsen starrten ihn an. Dann lachte Kolzak auf. «Die Schiffsverbände brauchen eine Woche dafür.»
    «Eine Woche!»
    «Manchmal auch länger. Es gibt neun Stromschnellen, und wir müssen die Schiffe an sechs davon vorbeitragen. An manchen Stellen müssen die Schiffe vom Ufer aus weitergezogen, an anderen mit Seilen und Stangen über Felsen manövriert werden. Und an der gefährlichsten Stromschnelle – ‹Die Unersättliche› heißt sie – müssen die Sklaven zehn Werst zu Fuß oben am Rand der Schlucht entlanggehen. Allein das dauert schon einen ganzen Tag.»
    Hero musste nicht mit Vallon reden, um zu wissen, wie er darauf reagieren würde. Er wandte sich an Fyodor. «Das geht nicht.»
    Fyodor lachte hektisch. «Die

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