Der Thron der Welt
An dem kann sich keiner vorbeischleichen.»
Snorri und der Zimmermann machten sich mit den Dechseln an die Arbeit. Sie bearbeiteten die Bretter so, dass sie in das Loch zwischen den Schiffsplanken eingefügt werden konnten. Die Planken waren nicht gleichbleibend dick, zwei Zoll an der Wasserlinie, und bis zum Dollbord verjüngten sie sich auf den halben Durchmesser. Raul sah den beiden zu und zuckte dabei einige Male merklich zusammen, bis Snorri ihm seine Dechsel zuwarf. «Versuch’s doch selbst, wenn du glaubst, du kannst es besser.»
Raul nahm die Dechsel. «Aus dem Weg, du hässlicher Heide.» Er stellte sich über eine Planke, machte eine paar Probeschwünge mit der Dechsel und begann dann so sauber Späne abzuschlagen, als hätte er einen Hobel in der Hand.
«Das machst du nich zum ersten Mal.»
Raul spuckte aus. «Ich hab schon fast alles gemacht. Und manches sogar zweimal. Und dreimal nachts mit deiner Schwester.»
Um die Bretter der Krümmung der Querträger anzupassen, mussten sie in einer Holzkammer in Dampf erhitzt werden, bis sie sich biegen ließen. Heros Aufgabe dabei war, das Feuer unter dem Kessel in Gang zu halten, aus dem der Wasserdampf aufstieg. Nachdem sie die Bretter passend für das Loch zurechtgesägt hatten, schrägten die Zimmerleute die Enden ab, damit diese genau mit den vorhandenen Planken zusammengefügt werden konnten. Als die Plankenenden bündig abschlossen, verbanden sie die Hölzer mit Nieten und Metallplatten, die zuvor über einem Kohlefeuer rotglühend erhitzt und mit einer Mischung aus Teer, Leinöl und Terpentin überzogen worden waren. Richard kümmerte sich um den Kessel, in dem die Mischung siedete, und hatte außerdem die Aufgabe, die Planken mit dem Wasserschutz zu bestreichen.
Wayland nähte die Webstücke zu einem Segel zusammen. Jedes Webstück maß etwa sechs mal fünf Fuß, und dreißig davon ergaben ein Segel. Es dauerte nicht lange, bis er von der Nadel Blasen an den Fingern hatte.
Als es dämmerte, überprüfte Vallon, welche Fortschritte sie an diesem Tag gemacht hatten. Erst ein Plankengang war instand gesetzt. Hero hatte das Feuer ausgehen lassen, und Richard hatte die Teermischung für die Metallteile nicht nur einmal, sondern gleich zweimal in Brand gesetzt. Und Wayland hatte erst vier Webstücke zusammengenäht, obgleich seine Finger brannten wie Feuer.
«Ihr könnt nicht erwarten, dass alles gleich am ersten Tag klappt», sagte Snorri. «Morgen bringen die Marschenleute ein paar Näherinnen mit.»
Drei tauchten auf – zwei Frauen mittleren Alters und ein Mädchen mit Silberblick und der Figur einer Fruchtbarkeitsgöttin. Während sie arbeitete, sah das Mädchen immer wieder verstohlen zu Wayland hinüber und dehnte sich aufreizend.
Als Raul vorbeikam, bemerkte er die schamlosen Interessenbekundungen des Mädchens. Er grinste. «Soll ich Wache schieben, solange ihr zwei euch ein bisschen näher kennenlernt?»
Wayland errötete.
«Du hattest noch nie ein Mädchen, stimmt’s?»
Wayland hielt den Kopf gesenkt und nähte weiter.
«Und betrunken hab ich dich auch noch nie gesehen. Oder fluchen hören. Du bist der reinste Mönch.»
«Es gibt Schlimmeres.»
Raul ging neben Wayland in die Hocke. «Ich sag dir, was mit den Mönchen nicht stimmt. Jeden Tag ihres Lebens meiden sie die Schänken und Hurenhäuser, und dann, ohne je richtig gelebt zu haben, sterben sie, damit es in Ewigkeit genauso langweilig weitergeht. Was daran ist so verlockend?»
«Raul», rief Vallon. «Mach dich wieder an die Arbeit.»
Raul zwinkerte Wayland zu. «Lebe heute, das ist mein Motto. Weil es nämlich sein kann, dass dich morgen schon der Tod ins Ohr zwickt und zu dir sagt: ‹Komm, mein Jungchen. Zeit zu gehen.›»
An diesem Tag stellten sie zwei weitere Plankengänge fertig und nähten zehn Webstücke zusammen. Nach drei weiteren Tagen war der Schiffsrumpf repariert. Das Ruder lag bereit und musste nur noch eingehängt werden, das Segel war nahezu fertig, und die Marschenleute hatten den Wasserlauf vertieft.
Nach einer Woche saßen sie beim Essen um ein Lagerfeuer aus Treibholz, aus dem Flammen in allen Regenbogenfarben aufloderten. Raul spann höchst zweifelhaftes Seemannsgarn über Schlachten in fremden Ländern. Snorri erzählte noch einmal die Saga von seinem getöteten Befehlshaber, Harald Hardrade, dem «Donnerkeil aus dem Norden», der während seiner Verbannung aus Norwegen zuerst für die Russen und anschließend für die Byzantiner gekämpft hatte,
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