Der Thron der Welt
Stück am Strand entlang und glitt ins Schilf.
Er trat vorsichtig auf, vermied jedes Geräusch, das lauter war als das im Wind raschelnde Schilf. So drang er ein Stück weit ins Marschland vor, beschrieb einen Halbkreis, und dann entdeckte er Syth. Sie stand geduckt mit dem Rücken zu ihm, hielt sich an einem Bündel Schilf fest, und beugte sich, ein Bein balancierend ausgestreckt, so weit aus dem Schilfbewuchs Richtung Strand heraus, wie sie es nur wagen konnte. Anscheinend hatte sie ihn beobachtet.
Ein breiter Graben lag zwischen ihnen. Wayland watete durch das knietiefe Wasser und war halb auf der anderen Seite, als irgendein Geräusch oder Instinkt sie dazu brachte, sich herumzudrehen. Sie schlug sich die Hand vor den Mund und sprang mit unglaublicher Schnelligkeit davon. Spritzend watete er aus dem Graben und rannte ihr nach. Wie ein Pfeil schnellte sie in dichtes Unterholz. Sie kannte die Marschen besser als er. Sie würde entkommen. Er wurde noch schneller, warf sich nach vorn und erwischte ihr Gewand in dem Moment, als sie einen Haken schlagen wollte. Der Stoff zerriss unter seiner Hand, und sie landete halbnackt im Morast. Er zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt, und warf ihr den zerlumpten Kittel hin. Sie griff danach und zog ihn bis zum Hals hoch. Keuchend starrten sie sich an.
«Warum spionierst du uns nach?»
Ihr Blick zuckte von rechts nach links.
«Hast du irgendwem erzählt, dass wir hier sind?»
Syth schüttelte den Kopf – ein einziges Mal, als müsse sie eine lästige Fliege vertreiben. Unter ihren großen Augen lagen dunkle Ringe, und ihre Knochen bewegten sich wie Schatten unter der Haut.
«Wann hast du zum letzten Mal etwas gegessen?»
Sie ließ den Kopf sinken und begann am ganzen Körper bebend zu schluchzen. Beim Anblick ihres zarten Rückgrats fühlte sich Wayland unbeholfen und ratlos. Und noch etwas spürte er – aufkeimende Lust. Der Hund kam spritzend durchs Schilf gelaufen, hielt vor Syth an und begann ihr die Tränen von den Wangen zu lecken. Sie schlang ihm die Arme um den Hals und vergrub ihr Gesicht in seinem Fell.
«Warte hier», sagte Wayland. «Ich bringe dir etwas zu essen.»
Vallon überwachte die Arbeiten an der Vertiefung des Wasserlaufs, als Wayland auf die Insel kam. Stirnrunzelnd drehte er sich um. Wayland ging zu den Vorräten hinüber und nahm Brot, Gebäck, gebratenes Hammelfleisch, Käse – einfach alles, was ihm in die Hände fiel.
Vallon ging zu ihm hinüber. «Was machst du da? Du solltest Wache halten.»
«Der Hund schlägt an, wenn irgendjemand kommt.»
Wayland ging zum Boot zurück.
«Bleib stehen.»
Wayland blieb stehen. Er sah auf seine Füße hinunter, dann drehte er sich zu Vallon um.
«Ich brauche ein bisschen Geld.»
Die anderen hatten aufgehört zu arbeiten. Raul kam zu ihnen herüber.
«Ich kümmere mich um die Sache», sagte Vallon und wartete, bis Raul sich ein Stück entfernt hatte. «Wofür willst du das Geld haben? Es gibt nichts zu kaufen.»
«Ich brauche es ganz einfach.»
Vallon schien kurz in einen höchst interessanten Anblick hinter Waylands Kopf zu versinken. «Wenn du beschlossen hast, uns zu verlassen, werde ich dich nicht daran hindern. Aber du kannst nicht weg, bevor wir abgesegelt sind.»
«Ich will nicht weg. Ich will einfach … einfach …» Vallon erlebte zum ersten Mal, dass Wayland die Fassung verlor.
«Wie viel?»
«Was Ihr mir schuldet.»
Vallon sah ihm ernst ins Gesicht und ging dann zu dem Kasten mit dem Silber. Als er zurückkam, übergab er Wayland das Geld nicht sofort. «Ich hatte schon alle möglichen Kerle unter meinem Kommando – Diebe, Mörder, Vergewaltiger, jeden Abschaum, den man sich vorstellen kann.»
«So einer bin ich nicht.»
«Ich würde dich besser verstehen, wenn du so einer wärst. Hier», sagte er und gab Wayland ein paar Münzen. «Das ist mehr, als dir zusteht. Aber verlass deinen Posten nicht noch einmal ohne guten Grund.»
Wayland ging ein paar Schritte, dann blieb er stehen und drehte sich um. «Herr?» Es war das erste Mal, dass er Vallon mit diesem Titel ansprach.
«Ja.»
«Habt Ihr jemals einen Gerfalken gesehen – einen weißen?»
«Nein.»
«Aber es gibt sie?»
«Ich glaube schon. Bleib bei uns, und du wirst Wunderdinge sehen, die man sich nicht einmal erträumen kann.»
Wayland fand Syth zitternd an derselben Stelle, an der er sie zurückgelassen hatte. Der Hund hatte seinen Kopf in ihren Schoß gelegt. Das Essen schien sie nicht zu
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