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Das Haus der verlorenen Kinder

Titel: Das Haus der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena Mackesy
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Vorwort
    Ich gehe nicht zurück. Ganz bestimmt nicht. Ich hasse sie … ich hasse sie! Sie kann aussehen, wie sie will, die verdammte Hexe. Die verdammte Hexe Blakemore … Ich gehe nicht zurück. Niemals, nie mehr …
    Für eine Weile vertreiben Wut und Angst die Kälte und wärmen sie von innen auf. Aber sie ist barfuß, und das Abendkleid, das sie aus der Truhe auf dem Dachboden gestohlen hat, ist aus mottenzerfressenem Chiffon. Jetzt hält sie es nicht mehr hoch, es schleift im Schnee, zieht sie mit seinem zunehmenden Gewicht nach unten und verstärkt die Kälte, weil die Feuchtigkeit ihr die Beine hinaufkriecht.
    Zum Teufel mit ihr. Zum Teufel mit der Hexe Blakemore. Zum Teufel mit Rospetroc und denen allen. Ich hasse sie. Ich hasse sie alle. Die werden mich nie wiedersehen, lieber sterbe ich …
    Und jetzt, da sie ihre Umgebung zum ersten Mal wirklich wahrnimmt, wird ihr klar, dass der Schnee nicht nur auf der Erde liegt: Er ist überall um sie herum, treibt still und lautlos durch die eisige Luft, wirbelt im Wind.
    Lily ist kein Kind, das in der romantischen Tradition erzogen wurde, aber sie erkennt, dass das schön ist. Schaurig schön wie eine Kobra. Sie schaut zum wolkenverhangenen Himmel hinauf, schließt die Augen und fühlt die Schneeflocken auf der Haut. Sie spürt, wie klein sie ist. Sie ist sich dessen nicht bewusst, aber ihre Körpertemperatur ist bereits auf 35 Grad gesunken. Alles, was sie jetzt spürt, ist, dass sie immer stärker zittert, dass ihr die Hände und Füße wehtun. Aber es war ja klar, dass es barfuß im Schnee unangenehm werden würde.
    Ich gehe nicht zurück. Zum Teufel mit denen. Ich gehe nicht zurück.
    Vielleicht solltest du aber doch wieder hineingehen. Es ist kalt hier draußen.
    Sie wirft einen Blick über den Innenhof zurück durch den Steinbogen, und was sie da sieht, gibt ihr in ihrer immer kühler werdenden Magengrube einen leichten Stich. Die Haustür ist geschlossen. Sie ist zu, und durch die Fenster, die mit Verdunkelungsvorhängen verdeckt sind, fällt kein Licht in die schwarze Nacht hinaus.
    Lily zögert. Nein. Das sieht ihnen ähnlich. Die denken, sie können mir Angst einjagen. Die denken, sie können mich kleinkriegen. Dass ich zurückkomme und bettele. Ich gehe nicht zurück. Ich haue noch heute Abend ab. Keiner wird nach mir fragen, wenn ich verschwinde. Ich gehe nach Portsmouth zurück. Ich werde es schon irgendwie schaffen. Ich kann dort leben, auch wenn ich meine Mum nicht finde. Das ist mir egal. Ich kann mir was zum Essen klauen …
    Aber sie weiß, dass sie es in dieser Aufmachung nicht einmal bis Bodmin schaffen wird. Sie muss einen Mantel auftreiben. Einen Mantel und Stiefel. Vielleicht etwas Essbares, das sie auf dem langen Weg zu sich nehmen kann. Die Zug-fahrt hatte Stunden gedauert, als sie sie hierher gebracht hatten, daran erinnert sie sich, und die wenigen Ausflüge, die sie über das Dorf hinaus unternommen hat, haben über weite Strecken durch kahles Moorland geführt. Sie ist sich nicht einmal sicher, welches der nächste Bahnhof ist: nur, dass er weit, weit entfernt ist.
    Ich gehe wieder hinein, denkt sie. Sie wird mich gar nicht hören, die taube alte Hexe.
    Lily tapst durch den Vorgarten, und das Kleid zieht eine Spur hinter ihr her, wie ein Besen im Sand. Die Büsche – Rosmarin, Liguster und Lavendel –, die den Weg säumen, sind weiße Klumpen im Schnee, unten an ihren Wurzeln dunkel. Sie ducken sich in ihrer Tarnung, bereit zum Sprung. Das bildet sie sich nicht nur ein. Ein Leben voller Konflikte, Ringen und Überlebenskampf lässt wenig Raum für Fantasie. Aber ihre Route führt sie im Zickzack den Weg entlang, da sie den Büschen immer wieder ausweicht.
    Sie gehört nicht zu jenen Kindern, die weinen oder sich entschuldigen. Jetzt fragt sie sich zum ersten Mal, ob das richtig ist. Doch der Hass treibt sie voran.
    In der dunklen Eingangsveranda lauscht sie nach Zeichen von Leben. Hört nichts außer dem Rauschen und Platschen, da ein mit Schnee überladener Ast der Eibe seine Last auf den Boden fallen lässt. Sie könnte da drin sein. Gleich hinter der Tür stehen und warten.
    Ja, aber was kann ich tun? Es ist kalt. So kalt.
    Meine Hände zittern.
    Sie kann sie nicht ruhig halten, während sie sie ausstreckt, den dicken eisernen Türknauf umfasst, ihn dreht.
    Die Tür rührt sich nicht. Sie ist von innen verriegelt.
    Das hat sie fast erwartet. Mrs Blakemore bestraft gern. Sie schließt Sachen ein. In diesem Haus werden Kinder

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