Der Tod des Landeshauptmanns
„In meiner Position beim Heer muss ich auf alles vorbereitet sein“, sagte Stefan. Als ihn Jasmin fragend anblickte, drehte er sich weg und murmelte nur: „Ach, für alle Fälle, vergiss es.“ Und das war es dann auch. Er schloss den kleinen Eingang wieder, brachte die Platte hinter dem Schrank in Position, schob diesen wieder an die Wand und ging mit Jasmin, nicht ohne vorher noch eine Flasche Rotwein aus dem Lager zu nehmen, wieder nach oben.
„Wenn mein Eindruck von damals stimmt, dann muss es im Garten irgendeinen Zugang zum Haus geben“, sagte Jasmin und deutete mit der Hand auf die Rückseite des Gebäudes. Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, war Franz Bugelnik schon nach hinten unterwegs. Mittlerweile war es dunkel, mit seiner Taschenlampe leuchtete Bugelnik den Rasen ab. „Haben Sie eine Ahnung, wo der Ausgang, oder besser der Eingang, sein könnte?“ „Stefan hat mir nicht mehr gesagt, als ich Ihnen erzählt habe“, antwortete Jasmin, „es ist auch schon lange her und ich habe diesen Fluchtweg, oder was immer, ja nur von innen gesehen. Ich weiß nicht einmal, ob mir Stefan die Wahrheit gesagt hat.“
Bugelnik ging auf die Holzhütte zu, die an der Grundstücksgrenze stand. Ein offenes Vorhängeschloss hielt die Tür zu, er öffnete sie rasch und blickte sich um. Zwei alte Fahrräder standen in der einen Ecke, in der anderen war ein Rasenmäher zu erkennen – er war mit einer Plane zugedeckt, aber der Schubteil ragte hervor und verriet das Gerät. „Hier, nehmen Sie die Lampe“, sagte Franz Bugelnik, „leuchten Sie hierher“, und deutete auf die Plane. Dann beugte er sich nieder und zog an dem grünen Plastik. Um den Rasenmäher herum nahm er ein Viereck wahr, ganz undeutlich, aber es hob sich von der Erde ab. Bugelnik nahm Jasmin die Lampe wieder ab und leuchtete wie wild an den Wänden entlang: Als er einen Spaten entdeckte, nahm er ihn, gab Jasmin die Taschenlampe zurück und begann zu graben. Rasch stellte sich heraus, dass sie gefunden hatten, wonach sie suchten. Schon ein paar Zentimeter unter der Erde erklang ein metallisches Geräusch. „Das muss es sein, das klingt wie eine Eisentür“, sagte Bugelnik, und schon kurz danach hatte er sie freigelegt.
E IN KLIRRENDES G LAS, das der Kellnerin auf den Boden gefallen war, riss Jasmin aus ihren Gedanken. Es war Zeit zu gehen. Sie stand auf, nahm die Kassenzettel, die auf dem Tisch lagen, ihre Handtasche, die hellrote Papiermappe, zahlte und verließ das Lokal. Zurück in die Redaktion war es nur ein kurzer Fußmarsch – sie entschloss sich, die Bahnhofstraße nach Süden zu nehmen und in der Karfreit-Straße links abzubiegen. Als sie bei der Kreuzung ankam, sah sie in der Schaufensterscheibe gegenüber ihr eigenes Spiegelbild und wenige Meter dahinter einen Mann mit einem Trachtenhut, in dem eine Feder steckte. Jasmin nahm ihn kaum wahr, schließlich war sie auf einer belebten Innenstadtstraße unterwegs, oder jedenfalls einer Einkaufsstraße, die früher einmal belebt war.
Früher, wenn sie nach der Schule genug Zeit bis zur Abfahrt ihres Zuges nach Hause hatte – die Eltern hatten sie ins slowenische Gymnasium geschickt –, war sie oft durch die Stadt gebummelt. Beim Grüner hatte sie sich im Schaufenster immer die neueste Mode angesehen, in der Buchhandlung Kollitsch besorgte sie sich die Bücher, die sie schon als Teenager verschlang, daneben im Fahrradgeschäft sah sie lange Zeit ein weißes Sportrad, das sie für ihr Leben gerne gehabt hätte, aber die Eltern konnten sich solche Ausgaben nicht leisten. Der Vater hatte bei der Firma Leitgeb in Kühnsdorf gearbeitet, der holzverarbeitende Betrieb war einer der größten Arbeitgeber in der Region. Dass ihr Vater Kärntner Slowene und dennoch in einem Werk beschäftigt war, in dem zwei Brüder des Firmenbesitzers am Ende des Zweiten Weltkriegs von Partisanen nach Jugoslawien verschleppt worden waren und nie wieder auftauchten, war Jasmin erst viel später bewusst geworden.
Als sie in der Redaktion ankam, begegneten ihr wieder diese fragenden Blicke. Auch wenn viele der Kollegen und Kolleginnen im Lauf der Zeit gute Freunde geworden waren, es war niemand dabei, dem sie sich hätte anvertrauen können – vielleicht auch aus Sorge darüber, dass der eine oder andere daraus dann doch einen Artikel verfassen würde. Auf das „Jasmin, ist was?“ oder „Jasmin, kann ich dir helfen?“ hatte sie bisher immer mit einem Kopfschütteln reagiert und man hatte sie – noch – in
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